Chroniken der Unterwelt Bd. 2 City of Ashes
schlechtes Gewissen, weil er abgehauen ist. An deiner Stelle würde ich mir nicht die Mühe machen, ihn anzurufen. Ich bin mir sicher, dass er nicht mit dir reden will.«
Clary versuchte erst gar nicht, die Wut in ihrer Stimme zu unterdrücken: »Und das weißt du deshalb, weil ihr zwei euch so nahesteht, oder wie?«
»Ich weiß es, weil ich den Ausdruck auf seinem Gesicht gesehen habe, bevor er gegangen ist«, sagte Jace. »Und das hast du nicht. Du hast ihn nicht angesehen. Aber ich.«
Clary strich sich die feuchten Haare aus den Augen. Ihre Kleidung juckte und klebte unangenehm auf ihrer Haut und sie vermutete, dass sie wahrscheinlich wie ein schlammiger Teichboden roch. Vor ihrem inneren Auge erschien immer wieder Simons Gesicht, wie er sie am Hof der Feenkönigin angesehen hatte – als ob er sie hassen würde. »Das ist alles deine Schuld«, stieß sie plötzlich aufgebracht hervor. »Du hättest mich nicht so küssen dürfen.«
Jace hatte am Türrahmen gelehnt und richtete sich nun auf. »Wie hätte ich dich denn dann küssen sollen? Gibt es irgendeine andere Art, die dir besser gefallen würde?«
»Nein.« Ihre Hände bebten in ihrem Schoß. Sie waren kalt, weiß und ganz runzlig vom eisigen Wasser. Sie verschränkte die Finger, damit sie nicht mehr zitterten. »Ich möchte überhaupt nicht von dir geküsst werden.«
»Ich hatte nicht den Eindruck, dass einer von uns in dieser Angelegenheit eine große Wahl hatte.«
»Und genau das versteh ich nicht!«, platzte Clary heraus. »Warum hat sie dich genötigt, mich zu küssen? Die Feenkönigin, meine ich. Warum hat sie uns dazu gezwungen? Welche Art von Vergnügen hat sie daraus gezogen?«
»Du hast doch gehört, was die Königin gesagt hat. Sie dachte, sie würde mir einen Gefallen tun.«
»Das stimmt nicht.«
»Doch, das stimmt. Wie oft muss ich es dir noch sagen? Das Lichte Volk lügt nicht.«
Clary dachte an das, was Jace in Magnus’ Wohnung gesagt hatte. Wenn sie erst einmal herausgefunden haben, was du dir am sehnlichsten auf der Welt wünschst, dann schenken sie es dir – mit einem dicken Pferdefuß, der dich deinen Wunsch umgehend bereuen lässt. »Dann hat sie sich eben geirrt.«
»Nein, sie hat sich nicht geirrt.« Jace’ Ton klang bitter. »Sie hat beobachtet, wie ich dich angesehen habe und wie du mich und wie Simon dich angesehen hat, und dann hat sie mit uns gespielt, als wären wir Schachfiguren.«
»Ich sehe dich nicht an«, flüsterte Clary.
»Was?«
»Ich sagte: Ich sehe dich nicht an. « Sie öffnete die Hände, die sie in ihrem Schoß fest verschränkt hatte. Die Stellen, an denen die Finger gegeneinandergedrückt hatten, leuchteten rot. »Zumindest versuche ich es.«
Jace’ Augen waren zu Schlitzen zusammengekniffen; zwischen den Wimpern schimmerte nur ein Hauch seiner goldbraunen Pupillen hindurch und Clary musste daran denken, wie sie ihn das erste Mal gesehen hatte. Damals hatte er sie an einen Löwen erinnert – goldschimmernd und gefährlich. »Und warum nicht?«, fragte er.
»Was glaubst du wohl?« Ihre Worte waren fast lautlos, kaum ein Flüstern.
»Aber warum dann diese ganze Show?« Seine Stimme bebte. »Warum das Theater mit Simon? Warum hältst du mich auf Abstand, lässt mich nicht in deine Nähe …?«
»Weil es unmöglich ist«, schluchzte sie, trotz ihrer Bemühungen, sich zusammenzureißen. »Das weißt du genauso gut wie ich!«
»Weil du meine Schwester bist«, sagte Jace.
Clary nickte wortlos.
»Möglicherweise«, sagte Jace. »Und deshalb hast du beschlossen, dass dein alter Freund Simon eine prima Ablenkung abgibt?«
»Nein, so ist es nicht«, erwiderte sie. »Ich liebe Simon.«
»So wie du Luke liebst«, sagte Jace, »und wie du deine Mutter liebst.«
»Nein!« Ihre Stimme klang so kalt und spitz wie ein Eiszapfen. »Schreib du mir nicht vor, was ich zu empfinden habe.«
Um seinen Mundwinkel zuckte ein kleiner Muskel. »Das glaube ich dir nicht.«
Clary stand auf. Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen und fixierte stattdessen die blasse, sternförmige Narbe auf seiner Schulter, eine Erinnerung an irgendeine alte Verletzung. Du bist nicht als eine der Unsrigen aufgewachsen, Clary. Du hast nicht Teil an diesem Leben der Narben und des Tötens, hatte Hodge einst gesagt. »Jace«, flüsterte sie, »warum tust du mir das an?«
»Weil du mich belügst. Und weil du dich selbst belügst.« Jace’ Augen funkelten vor Wut, und obwohl er die Hände in die Taschen gesteckt hatte, konnte Clary
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