Chroniken der Unterwelt Bd. 3 City of Glass
reden.«
»Du?«, fragte Alec entgeistert, schämte sich dann aber für seine taktlose Äußerung und fugte hinzu: »Es ist nur so … Isabelle will nicht mal für ihre eigene Familie ihr Zimmer verlassen. Warum sollte sie dann bei dir eine Ausnahme machen?«
»Vielleicht gerade deshalb, weil ich eben nicht zur Familie gehöre«, erklärte Simon. Er stand ruhig da, die Hände in den Taschen, die Schultern entspannt. Als Clary neben ihm auf dem Sofa gesessen hatte, war ihr die dünne weiße Linie an seinem Hals wieder aufgefallen - an der Stelle, wo Valentin ihm die Kehle durchgeschnitten hatte - und die Narben an den ebenfalls aufgeschlitzten Handgelenken. Simons Begegnungen mit der Welt der Schattenjäger hatten ihn verändert, und zwar nicht nur an der Oberfläche; die Veränderungen gingen sogar noch tiefer als seine Verwandlung zum Vampir. Er stand aufrecht da, den Kopf hoch erhoben und nahm jede Bemerkung, die Jace oder Alec ihm an den Kopf warfen, gelassen hin; es schien ihn nicht einmal zu interessieren. Den Simon, der sich vor ihnen gefürchtet oder von ihnen hätte einschüchtern lassen, gab es nicht mehr. ‘
Plötzlich verspürte Clary einen heftigen Stich im Herzen und erkannte mit einem Schlag die Ursache dafür: Er fehlte ihr - Simon fehlte ihr. Der Simon, der er früher einmal gewesen war.
»Ich werde mal einen Versuch unternehmen, Isabelle zum Reden zu bringen«, sagte Simon nun. »Schaden kann’s jedenfalls nicht.«
»Aber es ist doch schon fast dunkel«, protestierte Clary. »Und wir haben Luke und Amatis versprochen, vor Sonnenuntergang wieder zurück zu sein.«
»Ich bring dich nach Hause«, bot Jace an. »Und was Simon betrifft: Er findet sich ja wohl allein im Dunkeln zurecht. Oder, Simon?«
»Natürlich tut er das«, warf Alec entrüstet ein, als wollte er seine vorherige Kränkung wieder gutmachen. »Schließlich ist er ein Vampir - und …« Er verstummte einen Moment und fügte dann hinzu: »Und mir ist gerade klar geworden, dass du wahrscheinlich nur einen Scherz gemacht hast. Vergiss es einfach.«
Simon grinste. Clary öffnete den Mund, um erneut zu protestieren, schloss ihn dann aber wieder. Einerseits, weil sie genau wusste, dass sie sich unvernünftig verhielt. Und andererseits, weil sie Jace’ Blick sah, den er Simon zuwarf: eine Mischung aus Belustigung, Dankbarkeit und tatsächlich so etwas wie Respekt - ein klein wenig Respekt, wie Clary überrascht feststellte.
Das neue Domizil der Lightwoods lag nicht weit von Amatis’ Haus entfernt, aber Clary wünschte inständig, der Weg würde länger dauern. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass jeder Augenblick mit Jace kostbar und irgendwie zeitlich begrenzt war und dass sie sich einem kaum wahrnehmbaren Stichtag näherten - einem Moment, der sie für immer voneinander trennen würde.
Während sie durch die Gassen liefen, warf Clary Jace einen verstohlenen Blick zu. Er schaute unverwandt geradeaus, fast als wäre sie gar nicht da. Im harschen Elbenlicht der Straßenlaternen wirkte sein Profil scharf umrissen und kantig. Seine Haare kräuselten sich an den Wangen und verdeckten nur unzulänglich die weiße Narbe an der Schläfe, wo sich ein Runenmal befunden hatte. An seiner Kehle blitzte etwas Metallisches auf - die Kette, an der der Morgenstern-Ring baumelte. Seine linke Hand hing locker an seiner Seite herab; Clary sah, dass die Knöchel noch immer wund wirkten. Dann heilte er also tatsächlich wie ein Irdischer - so wie Alec es von ihm verlangt hatte.
Als Clary bei dem Gedanken schauderte, warf Jace ihr einen Blick zu. »Ist dir kalt?«, fragte er.
»Ich musste nur gerade an etwas denken«, erklärte sie. »Es wundert mich, dass Valentin auf den Inquisitor losgegangen ist - anstatt auf Luke«, fuhr sie fort. »Schließlich war der Inquisitor ein Schattenjäger und Luke … Luke ist ein Schattenweltler. Und hinzu kommt außerdem, dass Valentin ihn hasst.«
»Aber in gewisser Weise respektiert er ihn auch, selbst wenn Luke ein Schattenweltler ist«, gab Jace zu bedenken und Clary erinnerte sich an den Blick, den Jace Simon kurz zuvor zugeworfen hatte. Rasch versuchte sie, nicht daran zu denken. Die Vorstellung gefiel ihr ganz und gar nicht, dass Jace und Valentin irgendwelche Gemeinsamkeiten haben könnten, auch wenn es nur um so etwas Banales wie einen Blick ging. »Luke versucht, den Rat zu verändern, ihn zum Umdenken zu bewegen. Genau das Gleiche hat auch Valentin versucht, wenn auch mit… mit einem
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