Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
weiß«, sagte er. »Du hast ja recht.« Dann warf er einen kurzen Blick auf das Zimmer, in dem er übernachtet hatte. »Hör mal, bist du sicher, dass ich wirklich hierbleiben soll? Ich kann jederzeit verschwinden …«
»Nein, kein Problem. Bleib, solange du willst.« Kyle öffnete eine Küchenschublade und wühlte darin herum, bis er gefunden hatte, was er suchte: einen Satz Ersatzschlüssel an einem Gummiband. »Hier, die sind für dich. Du bist hier absolut willkommen, okay? Ich muss gleich zur Arbeit, aber du kannst ja noch ‘ne Weile abhängen, wenn du willst … ‘ne Runde Halo spielen oder was auch immer. Bist du dann hier, wenn ich zurückkomme?«
»Wahrscheinlich nicht.« Simon zuckte die Achseln. »Ich muss um drei zu einer Kleiderprobe.«
»Cool«, grinste Kyle, schwang sich die Kuriertasche über die Schulter und marschierte Richtung Tür. »Sieh zu, dass man dir was in Rot schneidert — das ist absolut deine Farbe.«
»Also«, sagte Clary und trat aus der Umkleidekabine. »Was hältst du davon?«, fragte sie und drehte sich vor dem Spiegel.
Simon, der auf einem der unbequemen weißen Stühle in Ka ryn’s Bridal Shop hockte, rutschte unruhig auf der Sitzfläche hin und her und meinte schließlich: »Du siehst nett aus.«
Clary sah besser als nur »nett« aus. Als einzige Brautjungfer ihrer Mutter hatte sie sich selbst ein Outfit aussuchen dürfen und sich für ein ganz schlichtes kupferrotes Seidenkleid mit schmalen Trägern entschieden, das ihrer schlanken Figur schmeichelte. Als Schmuck trug sie nur den Morgenstern-Ring an einer schlichten Silberkette, die die Konturen ihrer Schlüsselbeine und die geschwungene Form ihres Halses betonte.
Noch vor wenigen Monaten hätte der Anblick Clarys in einem festlichen Kleid in Simon gemischte Gefühle geweckt: düstere Verzweiflung (sie würde ihn niemals lieben) und hochgradige Anspannung (oder vielleicht ja doch, wenn er endlich den Mut aufbrachte, ihr seine wahren Gefühle zu gestehen). Doch jetzt stimmte ihn ihr Anblick nur ein wenig wehmütig.
»Nett?«, wiederholte Clary. »Ist das alles? Na toll.« Sie wandte sich an Maia. »Was denkst du denn?«
Maia hatte es aufgegeben, auf den unbequemen Stühlen herumzuhocken; sie saß auf dem Boden, den Rücken an eine Wand gelehnt, die mit Diademen und langen Spitzenschleiern dekoriert war. Auf dem Knie balancierte sie Simons Nintendo DS und schien in eine Partie Grand Theft Auto vertieft zu sein. »Mich darfst du nicht fragen«, erwiderte sie abgelenkt. »Ich hasse Kleider. Wenn es nach mir ginge, würde ich in Jeans zu der Hochzeit kommen.«
Das war nur zu wahr — Simon bekam Maia selten in etwas anderem als Jeans und T-Shirt zu sehen. In dieser Hinsicht bildete sie das glatte Gegenteil zu Isabelle, die selbst zu den unpassendsten Gelegenheiten Kleider und hochhackige Schuhe trug. (Aber seit Simon einmal Zeuge geworden war, wie sie einen Vermis-Dämonen mit dem spitzen Pfennigabsatz ihres Stiefels erledigt hatte, machte er sich deswegen keine allzu großen Sorgen mehr.)
Die Türglocke des Brautmodengeschäfts bimmelte und Jocelyn betrat den Raum, dicht gefolgt von Luke. Beide hielten Styroporbecher mit dampfendem Kaffee in den Händen und Jocelyn schaute mit geröteten Wangen und leuchtenden Augen zu Luke auf. Simon erinnerte sich, wie Clary gesagt hatte, dass die beiden schon fast widerwärtig verliebt seien, doch er persönlich fand das gar nicht so übel. Allerdings lag das vermutlich daran, dass die beiden nicht seine Eltern waren. Sie wirkten sehr glücklich miteinander — was doch eigentlich ganz schön war, überlegte er.
Jocelyn bekam große Augen, als sie Clary in ihrem Kleid sah. »Du siehst hinreißend aus, Süße!«
»Klar, du musst das ja auch sagen. Schließlich bist du meine Mutter«, erwiderte Clary, grinste dabei aber über beide Ohren. »Hey, ist in einem dieser Becher vielleicht zufälligerweise schwarzer Kaffee?«
»Ja. Betrachte es als Wiedergutmachung für unser verspätetes Auftauchen«, erklärte Luke und reichte ihr seinen Becher. »Wir sind aufgehalten worden. Mussten noch was wegen des Caterings besprechen«, fügte er hinzu und nickte dann Simon und Maia zu. »Hey, Leute.«
Maia senkte ehrerbietig den Kopf. Luke war der Anführer des örtlichen Wolfsrudels, dem auch Maia angehörte. Obwohl Luke ihr abgewöhnt hatte, ihn mit »Gebieter« oder »Sir« anzusprechen, verhielt sie sich in seiner Gegenwart stets respektvoll. »Ich habe eine Nachricht vom Rudel zu
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