Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
hervortrat. »Es gibt zwei Arten von Werwölfen«, erläuterte er. »Zum einen die Art, die als Werwolf geboren wird, mit Werwolfeltern, und zum anderen die Sorte, die sich durch einen Biss mit der Lykanthropie infiziert.«
Überrascht schaute Simon ihn an. Er hätte nicht gedacht, dass Kyle — Surfer, Kiffer, Fahrradkurier — ein Wort wie »Lykanthropie« überhaupt kannte oder es richtig aussprechen konnte. Aber dies hier war ein völlig anderer Kyle — konzentriert, aufmerksam und präzise.
»Bei denjenigen, die durch einen Biss verwandelt werden, sind die ersten paar Jahre von entscheidender Bedeutung. Der Dämonen-Bakterienstamm, der die Lykanthropie verursacht, bewirkt auch noch eine ganze Reihe weiterer Veränderungen: Anfälle unbeherrschter Wut, die Unfähigkeit, seinen Zorn zu zügeln, Selbstmordgedanken und Verzweiflung. Ein Rudel kann bei der Bewältigung dieser Probleme helfen, aber nicht viele der Neuinfizierten haben das Glück, sofort ein Rudel zu finden. Sie sind auf sich allein gestellt und müssen versuchen, ohne Hilfe mit all diesen überwältigenden Gefühlen zurechtzukommen. Viele werden gewalttätig, gegen sich oder andere. Wir haben es hier mit hohen Selbstmordraten und Fällen häuslicher Gewalt zu tun.« Sein Blick wanderte zu Simon. »Das Gleiche gilt für Vampire, nur mit dem Unterschied, dass es bei ihnen noch schlimmer enden kann. Ein elternloser Frischling hat buchstäblich keine Ahnung, wie ihm geschieht. Ohne entsprechende Anleitung weiß er weder, wie er sich auf sichere Weise Nahrung beschaffen kann, noch hat er eine Ahnung von solch elementaren Dingen wie der Tatsache, dass er aus der Sonne bleiben muss. Und das ist der Moment, in dem wir ins Spiel kommen.«
»Und was macht ihr dann?«, fragte Simon.
»Wir spüren ›verwaiste‹ Schattenweltler auf — Vampire und Werwölfe, die sich gerade verwandelt haben und noch nicht wissen, wer sie sind. ln manchen Fällen sogar Hexenwesen: Einige erkennen jahrelang nicht, was sie tatsächlich sind. Wir greifen dann ein, versuchen, sie in einem Clan oder Rudel unterzubringen und ihnen dabei zu helfen, ihre Kräfte in den Griff zu bekommen.«
»Die reinsten Samariter …« Jace’ Augen funkelten spöttisch.
»Das sind wir tatsächlich.« Kyle klang, als bemühte er sich um einen neutralen Tonfall. »Wir schreiten ein, bevor der neue Schattenweltler gewalttätig werden und sich oder andere verletzen kann. Ich weiß, was mit mir passiert wäre, wenn die Garde nicht gewesen wäre. Ich hab ein paar üble Dinge getan. Wirklich üble Dinge.«
»Wie übel?«, hakte Jace sofort nach. »Illegale Dinge?«
»Halt die Klappe, Jace«, warf Simon ein. »Du bist jetzt außer Dienst, okay? Vergiss einfach mal für ‘nen Moment, dass du ein Schattenjäger bist.» Erneut wandte er sich Kyle zu: »Und wie kam es dann, dass du zum Vorspielen bei meiner miesen Band aufgetaucht bist?«
»Mir war gar nicht klar, dass du weißt, wie mies sie ist.«
»Beantworte einfach meine Frage.«
»Wir erhielten einen Bericht über einen neuen Vampir — ein Tageslichtler, der allein lebte, also nicht bei einem Clan. Dein Geheimnis ist nicht so geheim, wie du vielleicht denkst. Vampirfrischlinge ohne einen Clan, der bei allem hilft, können sehr gefährlich sein. Ich wurde beauftragt, dich im Auge zu behalten.«
»Mit anderen Worten: Jetzt, da ich weiß, dass du ein Werwolf bist, willst du nicht nur, dass ich hier wohnen bleibe, sondern wirst auch nicht zulassen, dass ich ausziehe?«, fragte Simon.
»Genau«, bestätigte Kyle. »Ich meine, du kannst natürlich ausziehen, aber ich komme mit.«
»Nicht nötig«, bemerkte Jace. »Ich bin hervorragend in der Lage, selbst ein wachsames Auge auf Simon zu haben. Er ist mein frisch gebackener Schattenweltler, den ich schikanieren und rumkommandieren darf — nicht deiner.«
»Klappe! Alle beide!«, brüllte Simon. »Keiner von euch beiden war da, als man mich heute umzubringen versucht hat …«
»Ich war da«, protestierte Jace. »Na jedenfalls nach einem Moment.«
Kyles Augen funkelten wie Wolfsaugen in der Nacht. »Jemand hat versucht, dich zu töten? Was ist passiert?«
Simons und Jace’ Blicke kreuzten sich quer durch den Raum und sie trafen die stumme Vereinbarung, das Kainsmal nicht zu erwähnen. »Vor zwei Tagen, und heute schon wieder, sind mir irgendwelche Typen in grauen Trainingsanzügen gefolgt und dann über mich hergefallen.«
»Menschen?«
»Wir sind uns nicht sicher.«
»Und du hast keine
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