Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
fest, den Kopf gegen die Scheibe gelehnt. Blassblaues Morgenlicht fiel an ihm vorbei in den Raum. So, wie er da hockt, wirkt er sehr jung, dachte Simon. Jace’ Gesichtsausdruck zeigte keine Spur von Hohn, keine Abwehrhaltung, keinen Sarkasmus. Simon konnte sich in diesem Moment fast vorstellen, was Clary in Jace sah.
Es war offensichtlich, dass er seine Leibwächterpflichten nicht allzu ernst nahm, aber im Grunde war das ja schon von Anfang an klar gewesen.
Nicht zum ersten Mal fragte Simon sich, was zum Teufel zwischen Clary und Jace vorging.
Im nächsten Moment brummte sein Handy erneut. Simon rappelte sich auf, trottete ins Wohnzimmer und nahm den Anruf entgegen, gerade noch rechtzeitig, bevor das Gespräch auf seine Voicemail umgeleitet wurde. »Luke?«
»Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe, Simon.« Luke war wie immer von ausgesuchter Höflichkeit.
»Ich war eh wach«, log Simon.
»Ich möchte, dass du dich in einer halben Stunde mit mir im Washington Square Park triffst«, erklärte Luke. »Am Brunnen.«
Jetzt war Simon ernsthaft beunruhigt. »Ist alles in Ordnung?«, fragte er besorgt. »Ist irgendwas mit Clary?«
»Clary geht’s gut. Es dreht sich nicht um sie«, erwiderte Luke, während gleichzeitig ein rumpelndes Geräusch im Hintergrund ertönte. Simon vermutete, dass Luke seinen Pick-up startete. »Komm einfach in den Park. Aber allein!« Dann legte er auf.
Das Geräusch von Lukes Wagen, der aus der Auffahrt rollte, weckte Clary aus ihren beklemmenden Träumen. Sie setzte sich auf und zuckte zusammen: Ihre Halskette hatte sich im Schlaf in ihren Haaren verfangen. Vorsichtig löste sie die Strähnen, streifte die Kette über den Kopf und ließ sie samt Ring in ihre Handfläche fallen. Der kleine silberne Reif mit seinem Muster aus Sternen schien sie spöttisch anzublinzeln. Clary erinnerte sich daran, wie Jace ihr den Ring gegeben hatte, eingewickelt in einen Zettel mit einer Nachricht, die er hinterlassen hatte, als er sich auf die Jagd nach Jonathan gemacht hatte. Trotz allem, was geschehen ist, kann ich den Gedanken nicht ertragen, dass dieser Ring für immer verloren gehen könnte — genauso wenig, wie ich den Gedanken ertragen kann, dich für immer zu verlieren.
Das lag nun fast zwei Monate zurück. Clary war sich so sicher gewesen, dass Jace sie liebte … derart sicher, dass die Königin des Lichten Volkes nicht in der Lage gewesen war, sie in Versuchung zu führen. Wie konnte sie sich irgendetwas anderes wünschen, wo ihr doch Jace gehörte?
Aber vermutlich gehörte einem ein anderer Mensch ja niemals wirklich, überlegte Clary nun. Vielleicht konnte er einem ja entgleiten, wie einem Wasser zwischen den Fingern zerrann, ganz gleich, wie sehr man ihn auch liebte — und es gab nichts, was man dagegen tun konnte. Sie verstand nun, warum die Leute von einem »gebrochenen« Herzen sprachen, denn sie hatte das Gefühl, ihres bestünde aus Glasscherben, die ihr bei jedem Atemzug wie winzige Messer durch die Brust schnitten. Wenn du dir dein Leben ohne ihn ausmalst … hatte die Elbenkönigin gesagt.
Im nächsten Augenblick klingelte das Telefon und einen Moment lang war Clary einfach nur erleichtert, aus ihren düsteren Betrachtungen gerissen zu werden. Ihr zweiter Gedanke war: Jace . Vielleicht konnte er sie ja nicht auf ihrem Handy erreichen und rief sie deshalb zu Hause an. Sie legte den Ring auf ihr Nachttischchen und griff nach dem Hörer. Als sie sich gerade melden wollte, stellte sie fest, dass schon jemand anderes von einem anderen Telefon aus den Anruf entgegengenommen hatte — ihre Mutter.
»Hallo?«, rief ihre Mutter besorgt und erstaunlich wach für diese frühe Uhrzeit.
Die Stimme, die sich am anderen Ende der Leitung meldete, war Clary unbekannt und besaß einen ganz leichten Akzent. »Hier ist Catarina vom Beth-lsrael-Hospital. Ich möchte bitte mit Jocelyn sprechen.«
Clary erstarrte. Das Krankenhaus? War irgendetwas passiert, vielleicht mit Luke? Er war so wahnsinnig schnell weggefahren …
»Am Apparat.« Ihre Mutter klang kein bisschen verängstigt, eher so, als hätte sie den Anruf erwartet. »Vielen Dank, dass Sie so schnell zurückrufen.«
»Kein Problem. Ich hab mich gefreut, mal wieder was von Ihnen zu hören. Man bekommt nicht so oft mit, dass sich ein Patient von einem solch schlimmen Zauberbann erholt wie dem, mit dem Sie belegt waren.«
Natürlich, dachte Clary. Ihre Mutter hatte auf der Intensivstation des Beth-Israel-Hospitals gelegen, nachdem sie
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