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Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser

Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser

Titel: Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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so groß wie Oskars Handteller waren und zwölf Zehen aufwiesen, ließ diese Anordnung verschiedene Möglichkeiten zu. Entweder waren hier zwei Tiere gewesen, die gemeinsam eine schwere Last durch die Nacht gezogen hatten, oder – und diese Vorstellung behagte Oskar gar nicht – es war ein ziemlich großes Tier, das so breitbeinig ging, dass sein Bauch auf der Erde schleifte.
    Er überlegte, ob er Humboldt wecken sollte, als ihm ein merkwürdiger Geruch in die Nase stieg. Knoblauch.
    Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie Wilma den Kopf hob. Der kleine Vogel schüttelte sich, dann rannte er mit einem ängstlichen Quieken davon. Oskar stand auf. Den brennenden Ast über den Kopf haltend, versuchte er, die Finsternis mit seinen Augen zu durchdringen. Irrte er sich oder glommen da Lichter im Dunkel? Seine Beine fühlten sich mit einem Mal merkwürdig weich an. Sein Mut schwand mit jeder Sekunde mehr. Doch so schnell ließ sich ein Oskar Wegener nicht in die Flucht schlagen. Nicht, nachdem alle Welt ihn für einen Helden hielt.
    Langsam und mit geradezu mitleiderregender Vorsicht ging er auf die Lichter zu. Sie funkelten mit demselben unsteten Feuer, mit dem auch seine Fackel brannte. Was um alles in der Welt war das?
    Er war noch nicht weit gekommen, als er erkannte, dass es gar keine Lichter waren. Es war eine Traube von Kugeln, in denen sich das Licht der Flammen spiegelte. Eine Traube von … Augen.
    Einen Schrei unterdrückend, taumelte er zurück. Die Fackel entglitt seinen Händen, fiel zu Boden und erlosch. Dunkelheit umfing ihn.
    Oskar drehte sich um und stolperte zurück zum Lagerfeuer.
    »Wa-wa«, stammelte er, »wacht auf.« Und dann noch einmal mit mehr Nachdruck: »Wacht auf! Sofort!«
    Humboldt war der Erste, der wach war. Er schlug die Zeltplane zurück und blickte raus.
    »Was ist los?«
    »Wir … wir werden angegriffen.«
    Im Nu war der Forscher auf den Füßen. Mit einer fließenden Bewegung griff er hinter sich und zog seine Armbrust heraus. Ein scharfes Klicken ertönte, als er den Spannbolzen entsicherte. Oskar blickte besorgt auf die Waffe. Damals im Laboratorium war sie ihm noch kalt und tödlich erschienen. Angesichts dessen, was er da im Dunkeln gesehen hatte, wirkte sie plötzlich klein und unzureichend.
    Humboldt hatte den Pfeil noch nicht eingelegt, als ein surrendes Geräusch ertönte. Ein Projektil zischte an ihm vorbei und bohrte sich mit einem scharfen Knall in einen der ledernen Sättel. Jetzt waren auch die Frauen wach. Mit einem ängstlichen und verwirrten Ausdruck blickten sie zu den beiden Männern hinüber. »Was ist denn hier los?«, fragte Charlotte, der die Müdigkeit ins Gesicht geschrieben stand. Für eine Antwort blieb keine Zeit. Ein zweites Geschoss flog auf Humboldt zu, sauste aber mit mehr als einem Meter Abstand an ihm vorbei.
    Wer immer da auf sie schoss, besonders zielsicher war er nicht. Oskar kam nicht dazu, sich zu fragen, was das für Pfeile waren, da in diesem Moment eine schattenhafte Gestalt aus dem Unterholz hervorpreschte und mit einem schrillen Pfeifen in den Kreis des Feuers trat.
    Charlotte schrie auf.
    Eliza gab ein Stöhnen von sich.
    Es war ein Insekt, so viel stand fest. Aber ein Insekt, wie Oskar noch keins gesehen hatte. Abgesehen von seiner schieren Größe – es mochte vielleicht zwei Meter lang sein – verfügte es über einen lang gestreckten Körper, der halb durchsichtig war. Im Schein des Lagerfeuers konnte Oskar die inneren Organe des Wesens erkennen. Herz, Lunge, Gedärme. Seine sechs Beine waren lang und mit dornigen Gelenken versehen. Die Füße waren so groß wie die Hände eines ausgewachsenen Mannes und wiesen spitze Fortsätze auf, ähnlich wie Finger. Während es sich über den Boden bewegte, erzeugte es ein reibendes Geräusch.
    Am schlimmsten aber war sein Kopf. Eine Traube bösartig funkelnder Augen hing über einem Maul, das mit messerscharfen Zähnen gespickt war. Im Tierpark hatte Oskar mal die Kieferknochen eines urzeitlichen Haifisches gesehen und er fühlte sich spontan daran erinnert. Er beschloss, diesen Zähnen nicht zu nah zu kommen. Auf dem Rücken wucherte ein Wald von Dornen. Waren das nicht die Pfeile, die auf sie abgeschossen worden waren? Offenbar war das Wesen in der Lage, seine Stacheln als Geschosse zu verwenden, ganz ähnlich wie ein Stachelschwein. Aus dem Gesicht wuchsen Dornen und Fühler, die wild durch die Luft zuckten, als ob sie nach etwas Fressbarem tasteten. Oskar war vor Entsetzen wie gelähmt.

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