Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon
dem Absatz kehrt und rannte, so schnell ihn seine Füße trugen, in Richtung Hotel.
Eine Viertelstunde später erreichte die Kutsche mit Eliza, Charlotte und Oskar an Bord ihr Ziel. Das Auberge L’Etoile war ein Hotel mittlerer Preisklasse. Humboldt mochte es nicht, zu viel Geld auszugeben, wenn man nur schlafen und frühstücken wollte. Charlotte und Eliza hätten gerne in einem der nobleren Hotels übernachtet, aber der Forscher war in dieser Hinsicht dickköpfig und ließ nicht mit sich reden. »Ein gutes Bett und ein vernünftiges Bad, mehr brauchen wir nicht«, hatte er gesagt. »Wir sind hier, um zu arbeiten und nicht, um in Saus und Braus zu leben.«
Oskar entließ Wilma aus ihrem Körbchen und stieg aus. Charlotte gab dem Fahrer Anweisung, die Kutsche hinters Hotel zu fahren, dann eilten die beiden Jugendlichen die Treppen empor.
Charlotte schloss das Damenzimmer auf und verschwand darin. Oskar zog seinen Schlüssel hervor und sperrte ihr eigenes Zimmer auf. Viel würde es nicht zu tun geben. Humboldt bestand darauf, dass sie ihr Gepäck griffbereit hatten, damit sie den Ort schnell verlassen konnten. Wie es schien, war er schon öfter in Situationen gewesen, in denen er Hals über Kopf aufbrechen musste.
Auf einmal war von draußen ein seltsamer Lärm zu hören. Es knallte, zischte und puffte, als ob jemand ein Feuerwerk abbrannte. Oskar öffnete das Fenster und blickte auf die Straße hinunter.
Am Bordstein hatte eine seltsame Kutsche gehalten. Die pechschwarze Karosserie ruhte auf roten Speichenrädern, die mit einem modernen Gummibelag überzogen waren. Statt Zügeln hatte man auf der Fahrerseite ein Kurbelrad angebracht und vorne und hinten Metallzylinder, die keinen bestimmten Zweck zu erfüllen schienen. Das Seltsamste an dem Fahrzeug aber war: Es gab keine Pferde.
Ein paar Menschen hatten sich um das kuriose Fahrzeug geschart und diskutierten aufgeregt. Von dem Fahrer fehlte jede Spur.
Oskar hätte gerne weiter zugeschaut, aber die Zeit drängte.
Er riss die Schranktüren auf, nahm Hemden und Hosen heraus und warf sie in den weit geöffneten Lederkoffer. Er wollte gerade ins Bad gehen, als es an der Tür klopfte.
»Wer ist da?«
»Ich bin’s, Charlotte. Ich wollte dich fragen, ob du mir kurz beim Hinuntertragen helfen kannst.«
Oskar zog die Verriegelung zurück und öffnete die Tür. Erstaunt blickte er auf die Tasche und den Koffer zu Charlottes Füßen. »Du bist schon fertig?«
»Du etwa nicht?«
»Nein, ich … ach, was soll’s. Ich helfe dir schnell, dann erledige ich den Rest.« Er hob den Koffer hoch. »Du meine Güte«, keuchte er. »Der wiegt ja mindestens zwanzig Kilo. Was habt ihr da drin? Bleiplatten?«
Die Nichte des Professors grinste. »Kleider, Schuhe, Kosmetik, was man als Frau eben so braucht.«
»Unfassbar, wie schwer das ist«, keuchte Oskar, während er das sperrige Teil die Treppen hinunterwuchtete. »Unser Koffer wiegt gerade mal die Hälfte. Ich glaube, als Frau herumzureisen wäre mir zu beschwerlich.«
»Nicht, wenn man immer jemanden an seiner Seite hat, der einem beim Tragen hilft.« Sie zwinkerte ihm zu.
»Hast du eine Ahnung, wohin wir jetzt fahren?«, fragte Oskar.
»Tesla erwähnte den Namen einer Stadt«, sagte Charlotte. »Le Havre, glaube ich. Er sagte, wir fänden dort jemanden, der uns weiterhelfen könnte. Ein gewisser Monsieur Rimbault. Keine Ahnung, was der für uns tun kann, aber Humboldt schien sehr begierig darauf, diesen Mann zu treffen.«
»Ist das weit?«, keuchte Oskar.
»Um die zweihundert Kilometer. Wir werden also einige Zeit unterwegs sein. Du solltest dich lieber beeilen.« Oskar wuchtete den Koffer auf eines der fahrbaren Wägelchen im Erdgeschoss, nahm Charlotte die Tasche ab und stellte sie daneben, dann schob er das Ganze zur Hintertür hinaus. Das war der Nachteil, wenn man in billigen Hotels wohnte. Es gab kein Dienstpersonal.
Eliza wartete schon auf sie. Sie hatte bereits gezahlt und fütterte Wilma, die unruhig piepsend auf ihrem Schoß saß. »Ich weiß nicht, was sie hat«, sagte die Haushälterin. »Sie ist ziemlich nervös und rührt nicht mal ihr Vitaminfutter an. Ich glaube, sie spürt, dass wir in Eile sind.«
Mithilfe des Kutschers wuchtete Oskar Tasche und Koffer in die Gepäckablage. »Recht hat sie«, keuchte er. »In ein paar Minuten sind wir hier weg. Dann kann uns dieser Fremde mal gerne haben. Ich beeile mich mit unserem Gepäck, dann können wir aufbrechen.«
Er lief wieder nach oben,
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