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Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon

Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon

Titel: Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Gestalt. »Du brauchst nicht schüchtern zu sein. Tritt näher.«
    Stavros raffte seinen ganzen Mut zusammen.
    »Du hast mich rufen lassen, Großvater?«
    Ein skrofulöses Husten drang aus der Kehle des Alten. Es dauerte einige Zeit, bis es wieder abgeklungen war. Dann schlurfte er zu seinem Arbeitstisch, griff nach einem Glas Wasser und trank einen Schluck. Als er das Glas abgesetzt hatte, hob er seinen Blick.
    Stavros erschrak.
    Archytas hatte während der letzten drei Jahre merklich an Gewicht und Körpergröße verloren. Im matten Licht der Nachmittagssonne schimmerte seine pergamentene Haut wie die einer Mumie.
    »Ich habe dich kommen lassen, weil du etwas Unverzeihliches getan hast. Etwas, das die Zukunft unserer Familie gefährden könnte«, sagte der Alte. »Setz dich.«
    Er deutete auf den Stuhl.
    Stavros war wie vom Donner gerührt. Er hatte das Gefühl, ihm würde der Boden unter den Füßen weggezogen. Er holte tief Luft und sagte dann: »Ich soll was …?«
    »Dich setzen.« Der Alte wedelte ungeduldig mit der Hand.
    »Wenn es recht ist, würde ich lieber stehen bleiben …«
    Zwei eisgraue Augen funkelten den jungen Mann an. »Hinsetzen, und zwar sofort!«
    Widerwillig und in steifer Haltung ließ Stavros sich auf dem Stuhl nieder. Er hatte befürchtet, dass es schlimm werden würde, aber nicht so schlimm.
    Als der Alte sah, dass sein Enkel seinen Befehl befolgt hatte, ließ er sich ebenfalls nieder. Seine Stimme bekam einen versöhnlicheren Klang. »Wie geht es deiner Frau und den Kindern? Ich habe Maria und die Kleinen seit ewigen Zeiten nicht zu Gesicht bekommen. Nicht seit Annettas Taufe.«
    »Es geht ihnen gut«, antwortete Stavros. »Unser Großer geht schon zur Schule, während die Kleine den Kindergarten unsicher macht. Die Kinder machen uns viel Freude.«
    »Das ist gut.« Ein Lächeln huschte über das Antlitz des Alten. »Die Familie ist das Allerwichtigste. Ohne Familie sind wir nichts. Weniger als der Dreck unter dem Fingernagel.« Er beugte sich vor. »Es gibt eine eiserne Regel bei uns: Wenn man Probleme hat, wendet man sich immer zuerst an die Familie.«
    »Aber ich habe keine …«
    »Mit deiner eigenmächtigen Aktion hast du das Schicksal der Firma und der Familie aufs Spiel gesetzt.«
    Stavros hatte keine Ahnung, wovon der Alte da faselte. Wie es schien, war bei ihm tatsächlich eine Schraube locker.
    »Warum bist du nicht zu deinem Vater gegangen, wie es sich gehört? Stattdessen hast du diesen Deutschen beauftragt, seine Nase in unsere Angelegenheiten zu stecken. Das war nicht gut.«
    Verwundert hob Stavros die Brauen. Jetzt wusste er, woher der Wind wehte. Es ging um Humboldt.
    Wie hatte der Alte nur davon erfahren?
    »Ich habe versucht, mit Vater zu sprechen«, erwiderte er zögernd. »Ich habe ihn angefleht, etwas zu unternehmen, doch er hat nur abgewiegelt. Sagte, ich solle mir nicht den Kopf zerbrechen und lieber die Quartalsberichte prüfen. Wieder und wieder habe ich versucht, mit ihm über das Thema zu reden, doch seine Antwort war stets dieselbe.«
    »Aber natürlich war sie das«, sagte der Alte. »Er wollte dich schützen. Das ist seine Pflicht als Vater. Du wirst es verstehen, wenn du alt genug bist.«
    »Schützen? Wovor denn? Ich bin Teil der Geschäftsleitung. Meine Aufgabe ist es …«
    »Deine Aufgabe ist es zu tun, was man dir sagt«, unterbrach ihn der Alte. »Dein Vater weiß um die Gefahren, die in den Tiefen des Meeres auf unsere Schiffe lauern. Wir beide wissen das. Und wir haben geeignete Mittel ergriffen, um sie zu bekämpfen.«
    »Was für Mittel? Was ist das für eine Gefahr?« Stavros schüttelte den Kopf. Wie es schien, war er der Einzige, der keine Ahnung hatte, was hier gespielt wurde.
    Archytas neigte den Kopf. »Hast du denn nichts von dem Seeungeheuer gehört?«
    »Ob ich … natürlich habe ich das. Aber ich dachte, ihr haltet das alles für Unsinn.«
    »Nach außen hin. Nur nach außen hin.«
    »Dann glaubt ihr also doch, dass es das Ungeheuer gibt?«
    »Aber gewiss.« Der Alte lächelte verschlagen.
    Stavros lehnte sich zurück. Plötzlich ging ihm ein Licht auf. »Dann war es also nur gespielt. Die Beschuldigung, die Anklage wegen Trunkenheit …«
    »Alles inszeniert. Vogiatzis wird zu einer Mindeststrafe verurteilt und anderswo wieder eingestellt. Versteh doch, wir mussten so handeln. Was meinst du, wie unsere Kunden reagieren, wenn wir eingestehen, dass unsere Schiffe den Angriffen eines Seeungeheuers ausgesetzt sind? Ich werde es dir

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