Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch
verständlich. Humboldt schien ein Stein vom Herzen zu fallen. Lächelnd beugte er sich vor und sagte: »Hallo.«
Der Alte erwiderte das Lächeln. »Iwè po« – Ich grüße dich.
Die Ratsmitglieder lauschten mit offenen Mündern. In den Reihen der Dörfler wurde aufgeregt getuschelt.
Der Alte überlegte eine Weile, dann fragte er: »Wie geht es dir?«
»Danke, sehr gut.«
»Und deiner Frau?«
»Auch. Nicht wahr, Eliza?«
Eliza nickte.
»… und deiner anderen Frau?«
Humboldt räusperte sich, wobei er Charlotte einen entschuldigenden Blick zuwarf. »Ebenfalls. Um noch mal auf unseren Besuch zu sprechen zu kommen …«
»… und dem Jungen?« Ubirè deutete auf Oskar.
»Es geht ihm ausgezeichnet. Uns allen geht es ausgezeichnet. Das hoffe ich wenigstens. Was ich gerade sagen wollte …«
»Und deiner Mutter?«
»Meiner Mutter? Die ist …« Er überlegte kurz, dann schüttelte er den Kopf. »Nun, ich vermute, dort, wo sie jetzt ist, geht es ihr gut.«
»Und deinem Vater?«
»Ebenso …«
»Und den anderen Frauen deines Vaters?«
»Danke der Nachfrage.« Der Forscher war sichtlich irritiert. Ubirè nickte zufrieden. Er legte seine Hände zusammen und neigte den Kopf. Dann vollführte er eine Geste, die andeutete, dass Humboldt jetzt an der Reihe war.
Der Forscher stieß ein verlegenes Räuspern aus und blickte sich Hilfe suchend um. »Was soll ich sagen?«
Eliza stand auf und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er sah sie überrascht an. »Meinst du wirklich?«
»Versuch es.«
»Na schön. Kann ja nichts schaden.« Er wandte sich dem Alten zu: »Ich grüße Sie.«
»Danke.«
»Wie geht es Ihnen?«
»Sèwa« – Sehr gut.
»Und Ihrer Mutter?«
»Sèwa.«
»Und Ihrem Vater?«
»Sèwa.« Der Alte schien sichtlich zufrieden. Er hielt die Augen geschlossen und wippte bei jeder Antwort sanft vor und zurück.
Langsam begann es Charlotte zu dämmern. Diese seltsame Unterhaltung war Teil eines Höflichkeitszeremoniells. Ein Ritual, das für die Dogon große Wichtigkeit zu haben schien. Dabei schien es weniger darum zu gehen, ob die Antworten stimmten, als vielmehr um die genaue Einhaltung des Wortlauts. Es war wie eine Art Wechselgesang.
»Und Ihrer Familie?«
»Sèwa.«
Humboldt faltete die Hände. »Vielen Dank.«
Ubirè öffnete die Augen und lächelte. »Ich habe zu danken. Du hast gegrüßt wie ein Dogon. Jetzt kann ich dir vertrauen. Wie ein Dogon zu sprechen, heißt zu grüßen wie ein Dogon.« Er faltete die Hände vor seiner Brust. »Willkommen in unserer Stadt.«
»Sèwa.«
Ubirè drehte den Kopf, als suche er jemanden. »Yatimè.«
Aus den Reihen der Dorfbewohner löste sich die Gestalt des Mädchens. Der Hund war wie immer an ihrer Seite.
»Ich will mit dir sprechen. Komm.«
Die Kleine kam mit gesenktem Kopf zu ihnen herüber.
»Du sagtest, diese Leute wurden verfolgt?«
Das Mädchen nickte.
»Von wem?«
Das Mädchen antwortete mit einem Wort, das der Übersetzer nicht verstand, doch der Alte schien zu wissen, wovon die Rede war. Mit ernstem Blick wandte er sich den vier Abenteurern zu. »Du warst bei den Christenmenschen?«
Humboldt nickte. »Wir haben bei ihnen gewohnt, ja. Sie waren so freundlich, uns nach unserem Unfall aufzunehmen.«
»Warum wurdet ihr verfolgt?«
Humboldt zögerte. »Das ist nicht leicht zu erklären …«
»Sind sie eure Freunde?«
»Die Missionare? Nein. Sie gaben uns zu essen und ein Dach über dem Kopf, aber am Schluss …«
Der Alte blickte sie forschend an. »Was ist passiert?«
Humboldt schaute auf Oskar. »Du hast sie länger beobachtet. Vielleicht kannst du es erklären.«
Oskar neigte seinen Kopf zum Linguaphon. Er schien nach den richtigen Worten zu suchen. »Nun, sie benahmen sich seltsam«, sagte er. »Immer, wenn sie das Gefühl hatten, nicht beobachtet zu werden, taten sie Dinge, die keinen Sinn ergaben.«
»Was für Dinge?« Die Augen des Alten leuchteten geheimnisvoll.
»Nun, zum Beispiel blieben sie immer wieder stehen und starrten Löcher in die Luft, obwohl es gar nichts zu sehen gab. Oder sie hielten Bücher falsch herum. Manche habe ich dabei beobachtet, wie sie ihre Hände zum Himmel erhoben und seltsame Gesänge anstimmten. Keine Kirchenlieder, wohlgemerkt, es klang vielmehr wie Wehklagen. Für sich betrachtet, waren das alles nur Kleinigkeiten, aber in ihrer Gesamtheit spürte ich, dass etwas nicht stimmte. Das Seltsamste aber waren ihre Augen. Sie waren grün.«
Bei der Erwähnung der Farbe stießen die Dorfbewohner
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