Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels
gesehen. Einen Moment lang schien es, als wolle sie wegrennen, doch dann siegte die Neugier.
»Wer … wie heißt du?«
»Oskar. Und wie ist dein Name?«
»Nijang.« Sie blickte ihn misstrauisch an. Oskar wollte einen Schritt auf sie zugehen, doch sie zuckte sofort zurück.
»Du brauchst dich nicht zu fürchten. Ich tue dir nichts. Ich möchte nur mit dir reden.«
Nijang musterte ihn aufmerksam von der Seite. »Du bist kein Sklave«, sagte sie nachdenklich. »Woher kommst du?«
»Von weit her. Es ist eine lange Geschichte.«
»Bist du allein?«
»Nein. Wir sind zu sechst. Wir suchen ein Mädchen, sie hat rote Haare – wie Feuer. Kennst du sie?«
Nijang schüttelte den Kopf. »Hier gibt’s keine Mädchen mit brennenden Haaren.«
»Sie ist eine von uns, aber sie wurde entführt. Als wir in Porong waren, wurden wir überfallen. Meine Freundin – sie heißt Lena – wurde den Steinernen als Opfer dargebracht.«
»Du weißt von den Steinernen?«
»Aber natürlich. Deswegen sind wir hier. Unser Auftrag ist es, dem Fluch ein Ende zu setzen. Doch dann ging alles schief. Wir könnten ein wenig Hilfe gebrauchen. Meinst du, du könntest uns etwas über dieses Land und über die Steinernen erzählen?«
»Uns?«
»Meinem Vater und mir. Er wartet dort unten zwischen den Blöcken. Bitte. Es ist wirklich sehr, sehr wichtig.«
Das Mädchen sah ihn neugierig an. Sie streckte die Hand aus und berührte den Stoff seines Anzugs.
»Seid ihr gekommen, um uns befreien?«
Oskar wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Er hätte sie anlügen müssen, aber manchmal war eine kleine Lüge eben unumgänglich.
»Ja«, sagte er. »Ja, das sind wir. Aber noch nicht sofort. Zuerst müssen wir das Mädchen finden. Bist du bereit? Wir haben eine Menge Fragen an dich. Wirst du uns helfen?«
Nijang packte das Brot zurück in ihren Beutel. »Aber nur kurz. Der Aufseher wird bald wiederkommen.«
Oskar lächelte. »Dann komm, es wird nicht lange dauern.«
Eliza folgte einem Pfad in die Höhle. Je weiter sie kam, desto kühler wurde es. Die Feuchtigkeit hing wie ein dichter Schleier in der Luft. Ein Strom frischer Luft drang von unten zu ihr herauf.
Sie rieb sich über die Arme. Ihre Finger waren feucht vom Tau. Unter ihren Füßen dämpften dichte Moospolster ihre Schritte. Was für eine seltsame Umgebung. Sie kam sich vor wie ein Zwerg, der in einen bizarren Märchenwald hineingeraten war.
Charlotte und Lilienkron warteten am vereinbarten Treffpunkt, während Eliza die Höhle weiter erkundete. Natürlich war das leichtsinnig, aber sie hatte das Gefühl, dass es wichtig war. Für sie war dies ein magischer Ort – er war erfüllt von Zauberei und magischen Kräften. Ein spiritueller Knotenpunkt, der die Gedanken beeinflussen und Energien freisetzen konnte. Sie musste herausfinden, was es damit auf sich hatte. Abgesehen davon – so ganz allein war sie ja nicht. Wilma begleitete sie und passte auf, dass ihr nichts zustieß. Auf Instinkte des kleinen Vogels konnte Eliza sich immer verlassen.
Beim Vorübergehen ließ sie ihre Hand über einen der Boviste gleiten. Seine Außenhülle war schneeweiß und fest wie Leder. Das Gewächs war so groß wie ein kleines Haus und kugelrund.
»Große Eier«, sagte Wilma in ihrer unnachahmlich trockenen Art. »Große Eier von großen Vögeln.«
Eliza lachte. »Ja, so sehen sie aus. Hoffen wir, dass du unrecht hast, denn einem solchen Küken würde ich nur ungerne begegnen. Soll ich mal einen von ihnen öffnen?«
»Ja, aufmachen«, lautete die Antwort. »Küken Guten Tag sagen.«
Eliza schüttelte lächelnd den Kopf. In der Welt von Wilma gab es nur Nester, Eier und Küken. Bestimmt sehnte sie sich selbst nach einer eigenen kleinen Familie. Wer weiß, vielleicht bot sich ja eines Tages mal die Gelegenheit dazu. Eliza hatte gehört, dass im Tierpark von Berlin die Einrichtung eines Nachttierhauses geplant war. Vielleicht würde es da auch Kiwis geben.
Eliza wählte einen der kleineren Boviste, nahm ihr Messer und stach damit durch die Oberfläche. Das Material war überraschend zäh. Sie benötigte einige Minuten, um ein Stück herauszuschneiden, doch nach einer Weile war die Öffnung groß genug, dass sie und Wilma hineinklettern konnten. Vorsichtig und auf allen vieren kroch sie ins Innere des Pilzes.
Der Geruch war überwältigend. Er hatte etwas Betäubendes, beinahe Halluzinogenes. Mit jedem Schritt über die rosa Lamellen wurde er stärker.
In ihrer Heimat Haiti gab es eine
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