Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos
zu seinen FüÃen, fühlte, wie der Wind an seiner Kleidung zerrte â und wurde im letzten Moment von kräftigen Händen gepackt und nach oben gezogen.
»Packt ihn, haltet ihn fest. Habt ihr ihn? Gut.«
Behutsam wurde er abgelegt. Nebenan wurde der Fremde von zwei Gendarmen auf den Boden gedrückt. Die Männer hatten alle Hände voll zu tun, den schreienden und strampelnden Mann zu bändigen. Sie hatten alle Mühe, ihn unter Kontrolle zu bringen. Der Kerl gebärdete sich derart, dass man glauben konnte, der Leibhaftige wäre in ihn gefahren.
»Wer du bist, werden wir gleich wissen. Haltet ihn fest, ich sehe mir mal seinen Ausweis an.« Der eine Gendarm zog dem Attentäter ein Etui aus der Jackentasche und klappte es auf.
»So, so. Karl Strecker heiÃt du. Student der Jurisprudenz. Was machst du hier oben mit einem Gewehr? Wolltest wohl Tauben schieÃen, was?«
»Lasst mich los, ihr Schweine. Mein Vater ist ein hohes Mitglied der Regierung. Er wird dafür sorgen, dass ihr den Rest eures Lebens hinter Gittern verbringen werdet, ihr ⦠aua, ihr tut mir weh!«
»Halt still, du Kanalratte. Du bist verhaftet im Namen des Kaisers. Die Anklage lautet auf versuchten Mord, Hochverrat und den Anschlag auf das Leben unseres geliebten Monarchen.«
»Legt ihm Handschellen an und dann schafft mir diesen Abschaum aus den Augen«, sagte der andere Gendarm. Der mit den roten Wangen und der glänzenden Pickelhaube. »Wir werden dich der Kriminalpolizei übergeben, die wird sich näher mit dir befassen. Und was dich angeht â¦Â«, er wandte sich an Oskar. »Wir werden auch deine Identität überprüfen müssen, aber zuerst bringen wir dich mal ins Hospital. Gibt es jemanden, den wir verständigen sollen?«
Oskar nickte. »Humâ¦boldt. Carl Friedrich von ⦠Humboldt.«
»Humboldt?« Der Wachmann zog die Stirn in Falten. »Den Namen habe ich schon gehört. Warte mal, du wirst doch nicht etwa der junge Oskar sein, von dem schon so viel in der Zeitung zu lesen stand?«
Oskar lächelte entschuldigend.
»Na, das ist ja ein Ding. Da hätte ich ja fast den falschen Mann verhaftet.« Er betrachtete Oskars Hand. »Deine Hand sieht nicht gut aus, sie sollte unbedingt behandelt werden. In der Charité werden sie sich gut darum kümmern. Vielleicht kannst du damit schon bald dem verehrten Kaiser die Hand drücken, wenn er sich persönlich bei dir für die Rettung seines Lebens bedankt.«
»Danke.« Mehr brachte Oskar nicht heraus, dann wurde er ohnmächtig.
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Drei Tage später: Dienstag 8.  Juni 1895
E s war kühl und nebelig, als eine Gruppe von Leuten vom Kronprinzenufer kam und kurz vor dem Königsplatz nach links auf die BismarckstraÃe abbog. An der Ecke HindersinnstraÃe hielten sie an. Für einen Dienstagmorgen war es noch sehr ruhig, was vielleicht daran lag, dass es noch nicht mal acht Uhr war und dies kein Geschäftsviertel war.
Die Parlamentarier, Juristen, Beamten und Diplomaten, die zur Mittagszeit die StraÃen und den Park bevölkerten, kamen erst ab zehn Uhr aus ihren Löchern gekrochen. Dafür gingen sie aber auch um siebzehn Uhr schon wieder, wenn alle anderen noch fleiÃig arbeiteten. Ein Privileg des Beamtentums, um das es von der ganzen Welt beneidet wurde. Ein zufällig vorbeikommender Bürger, der seinen Hund Gassi führte, hätte nichts Ungewöhnliches bemerkt, dazu hätte er schon näher kommen müssen. Und auch dann wäre ihm vermutlich die dünne Klinge nicht aufgefallen, die zwischen dem Mann mit dem schwarzem Mantel und dem anderen mit dem gut getrimmten Schnurrbart funkelte. Ein hauchdünnes, scharfes Rapier, das normalerweise in einem Spazierstock mit goldenem Knauf zu ruhen pflegte. Doch jetzt lag es blank und zielte auf die Körpermitte, wo es tödliche Verletzungen anrichten konnte, sollte sich der Mann entschlieÃen zu fliehen.
Beide Männer waren ungefähr gleich groà und von ähnlichem Körperbau, doch während der eine sein pechschwarzes Haar zu einem kleinen Zopf zurückgebunden trug, waren die Haare des anderen kurz geschorenen und für sein Alter erstaunlich früh ergraut. Die aufrechte Haltung und der herrische Blick lieÃen auf eine militärische Vergangenheit schlieÃen, und wer ihm tiefer in die Augen geschaut hätte, der hätte noch etwas anderes bemerkt. Arroganz,
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