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Chronos

Titel: Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Charles Wilson
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bedrückend, als er erwartet hatte. Er hatte schon viele Dinge zurückgelassen. Zum Beispiel hatte er sich von seinem Leben in der Zukunft getrennt. Er hatte die Frau beerdigt, mit der er dreißig Jahre lang zusammengelebt hatte, lange bevor er von der Existenz fraktaler, verknüpfter Zeit auch nur zu träumen gewagt hatte. Verlust und Verzicht waren ihm nicht fremd.
    Er war am Ende eines Lebens rekrutiert worden, mit dem er sich bereits arrangiert hatte. Vielleicht war das die Grundvoraussetzung. Die Zeitreisenden schienen das alles von ihm gewusst zu haben. Ben erinnerte sich an ihre kühlen, unbeweglichen Augen. Sie erschienen aufgrund einer höflichen Geste gegenüber den Wächtern in menschlicher Form, aber Ben hatte ihre Fremdheit unter der Tarnung erahnt. Unsere Nachfahren, hatte er gedacht, ja, unsere Kinder in einem sehr realen Sinn ... aber von uns getrennt durch einen unvorstellbar großen Ozean von Jahren.
    Er lauschte auf das Geräusch der Schritte, die die Treppe heraufkamen. Er hoffte, dass Catherine Simmons und die anderen sich außerhalb des Hauses postiert hatten ... und er hoffte noch inbrünstiger, dass sie nicht gebraucht würden. Er hatte sich freiwillig gemeldet, diesen Stützpunkt zu verteidigen.
    Aber die Nanomechanismen verrichteten bereits ihr Werk im Körper des Eindringlings. Ben spürte, wie sie tätig waren.
    Er fühlte sie, während der Eindringling die mit Teppich belegten Stufen heraufstampfte. Ben sah ihn herankommen. Der Eindringling bewegte sich langsam. Sein Sichtgerät verfolgte Ben mit geölter Präzision.
    Er bot einen atemberaubenden Anblick. Ben hatte sich intensiv mit den Bürgerkriegen des einundzwanzigsten Jahrhunderts beschäftigt, hatte einen solchen Mann schon mal gesehen und wusste, was er zu erwarten hatte. Trotzdem war er zutiefst beeindruckt. Die Verbindung von Mensch und Mechanik stellte die Zukunft der Menschheit dar, aber dies hier war eine sterile Mutation. Ein wechselseitiges Schmarotzertum, das von außen aufgezwungen worden war. Die Rüstung war keine Hilfe, keine Verbesserung oder Steigerung, sondern sie war eine grausame Prothese. Infanterieärzte hatten diesem Mann die Fähigkeit zu wertfreiem Vergnügen genommen. Sie hatten sein Alltagsleben zu einer eintönigen Heuchelei gemacht, hatten jegliche Begierde mit dem Kampf verbunden.
    Der Eindringling, nicht sehr groß, kam mit geschmeidigen, schnellen Bewegungen die Treppe herauf. Dann geschah etwas Ungewöhnliches.
    Er stolperte.
    Er sank auf ein Knie und blickte hoch.
    Ben spürte, wie die Nanomechanismen in diesem Mann arbeiteten. Lebenswichtige Verbindungen wurden durchtrennt, Schaltstellen überhitzt, Redundanzen nahmen übermäßig zu ... »Wie heißt du?«, fragte Ben mit sanfter Stimme.
    »Billy Gargullo«, antwortete der Eindringling und feuerte einen Strahl aus seiner Handgelenkwaffe ab.
    Aber der Eindringling war langsam, und Ben, sensibilisiert, erahnte die Aktion und wich aus.
    Er feuerte seine eigene Waffe ab. Der gebündelte Impuls, unsichtbar, schien Billy Gargullo nach vorne zu reißen und niederzuwerfen. Seine Rüstung zog sich krampfartig um ihn zusammen wie eine Faust. Er stürzte, bäumte sich einmal auf ... Dann nutzte er seinen Schwung aus, als die Rüstung sich entspannte, um seinen Arm nach vorne pendeln zu lassen.
    Dies war eine Geste, mit der Ben nicht gerechnet hatte. Er duckte sich, aber nicht schnell genug. Die Strahlenwaffe schnitt eine qualmende Furche quer über seinen Leib.
    Ben ließ sich fallen und rollte über den Fußboden, um seine brennende Kleidung zu löschen, dann stellte er fest, dass er sich nicht mehr aufrichten konnte. Er war nahezu in zwei Hälften zerschnitten worden.
    Wertvolle Sekunden verstrichen. Ben spürte, wie seine Wachsamkeit abnahm. Eine Woge von kybernetischen Helfern strömte aus den Wänden hervor, bedeckte die Wunde, verschloss sie. Durchtrennte Arterien versiegelten sich von innen. Für einen kurzen Moment stieg sein Blutdruck auf einen halbwegs normalen Wert. Seine Sicht klärte sich.
    Ben richtete sich auf, stützte sich auf die Ellbogen und suchte tastend nach seiner Waffe.
    Er fand sie, brachte sie in Anschlag ...
    Aber Billy hatte den Raum bereits verlassen.

 
    22
    Als er das Ende der Kellertreppe erreicht hatte, nahm Billy an, dass er sterben würde.
    Er wusste, dass seine Rüstung von innen heraus allmählich zerfiel. Sein Sichtgerät lieferte ihm hellrote Zahlen und am laufenden Band Katastrophenmeldungen über seinen Zustand. Er

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