Chucks Welt
einfach unterhalten.«
»Über was?«
»Alles. Dass sie viel umzieht. Dass sie schon ewig lang bei einer Band mitmachen will – bloß kann sie nicht singen und spielt auch kein Instrument.«
»Was ein Problem ist, wenn man in eine Band will.«
»Habe ich ihr auch gesagt!« Ich schüttele den Kopf vor lauter Staunen über Amys verwegene Visionen. »Und was Stacey und Wendy angeht – sie sagt, sie findet sie nett. Anscheinend hat sie sich aber nicht richtig mit ihnen angefreundet, was für mich eher gut ist. Ach, und einen festen Freund hat sie zum Glück auch nicht, definitiv.«
»Hast du sie gefragt?«
»Nein! Sie hat einen Exfreund in San Diego erwähnt und gesagt, dass der ein totales Arschloch war. Weil sie andauernd umzieht, will sie sich nicht so fest binden, was auch immer das heißt.«
»Mhm, klingt ungut«, sagt Steve. »Denn dann will sie ja wohl auch keinen neuen Freund?«
Ach, wer weiß schon, was Mädchen mit so was sagen wollen?
»Aber es gab auch gute Zeichen. Sie hat mich am Arm angefasst. In einer von Beths dämlichen Zeitschriften steht, dass Mädchen so was nur machen, wenn sie Interesse haben.«
»Was für eine Zeitschrift denn?«
»Keine Ahnung, wahrscheinlich – sag mal, wieso willst du das wissen? Steve, du wirst doch nicht so bekloppt sein und eine Mädchenzeitschrift abonnieren, bloß weil Beth sie liest?«
»Wer hat behauptet, dass ich das vorhabe?«
Jetzt ziert er sich, logisch.
»Egal«, sage ich und verscheuche den Gedanken an Steve und meine Schwester. »Sie hat auch gesagt, dass sie mich echt witzig findet.«
»Was?«
»Ja, sie findet mich witzig.«
»Hammer«, sagt Steve. »Du bist auf direktem Weg nach Pimpertown.«
»Pimpertown?«
»Ja, du weißt schon, wo Leute hingehen, wenn sie Sex haben? Kapiert?«
»Amy und ich haben keinen Sex«, sage ich, während mir Bilder vom Sex mit Amy in den Kopf schießen.
»Wieso nicht?«, fragt Steve. »Die Top-Eigenschaft, die Mädchen bei einem Typen suchen, ist Sinn für Humor. Hat man wissenschaftlich bewiesen.«
»Echt?«
Ich richte mich im Bett auf und betrachte mich im Spiegel gegenüber. Meine Haare sind völlig lahm, wehen nur so hin und her. Gel nützt nichts, im Gegenteil. Meine Ohren sind riesig. Nicht unbedingt wie die von Dumbo, dem fliegenden Elefanten, aber doch so, dass man sich daran festhalten könnte. Die Wangenknochen sind fast unsichtbar und auch sonst habe ich keine ausgeprägten Züge. Ich bin der letzte Heuler. Mit so was will keiner nach Pimpertown.
»Chuck?«
»Ja.«
»Glotzt du dich grade im Spiegel an?«
Ich lehne mich wieder zurück.
»Kann sein.«
»Chuck, du bist am Drücker. Bis zu den Prüfungen sind’s noch zweieinhalb Monate. Viel Zeit. Sie ist eben erst hergezogen, kennt fast keinen und weiß nicht, was für ein Depp du bist. Außer dir hat sie keinen.«
Moment mal, das ist doch beleidigend. Aber dann wird mir klar, dass er recht hat.
»Okay«, gebe ich zu.
»Wann trefft ihr euch das nächste Mal?«
»Mittwoch.«
»Gehen wir am Dienstag nach der Schule trotzdem ins Kino?«
»Sicher. Mom sagt, wir sollen eine Viertelstunde früher los.«
»Klar sagt sie das. Was machst du jetzt noch?«
»Keine Ahnung. Nichts weiter.«
»Okay, dann bis in der Schule.«
»Bis dann, Steve.«
Ich lege auf. Und denke an Amy. Zeit für einen Strich auf meiner Liste.
Z iemlich müde heute: Chucks in Orange. Weil ein Grippevirus in der Schule umgeht, sind überall im Gebäude automatische Sagrotanspender angebracht worden. Ich liebe diese Dinger. Wahrscheinlich bin ich der Einzige, der sie benutzt. Wie es aussieht, sticht ein Zwang den andern aus, denn unterwegs vom Englischunterricht zu Geschichte weiche ich von meiner festen Route ab, damit ich am Automaten neben der Sporthalle vorbeikomme. Fühlt sich genial an, wenn das Zeug meine Haut berührt. Da rauscht mir jedes Mal ein Glücksgefühl durchs Hirn. Am liebsten würde ich darin baden.
»Was treibst du hier?«
Ich schaue auf und sehe Steve näherkommen.
»Ah, das Desinfektionsding. Hätte ich mir denken können. Lass mich auch mal ran.« Er hält die Hände unter den Sensor und nimmt einen Spritzer, wahrscheinlich aus Solidarität. »Wie läuft’s so?«
»Ich hab gleich Europäische Geschichte«, sage ich. »Die Hausaufgaben waren diesmal echt …« Ich verstumme.
Amy läuft auf uns zu. Wegen meiner festen Wege durch die Schule bin ich nicht daran gewöhnt, Leuten unerwartet zu begegnen. Mein Angstpegel steigt sofort.
Weitere Kostenlose Bücher