Chucks Welt
die Energie, mich weiter mit diesem Mist rumzuschlagen. Meine eigenen Probleme reichen mir.
»Nein, ich verrate nichts.«
»Danke.«
»Es ist nur, dass …«
Beth stöhnt auf. »Was denn?«
»Na ja«, sage ich. »Steve ist … Steve findet … er hat schon öfter gesagt …«
»Spuckst du’s jetzt aus oder was?«
Ich beschließe, dass jetzt weder die richtige Zeit noch der richtige Ort ist und dass es vielleicht nie eine Zeit und einen Ort dafür geben wird.
»Nichts. Vergiss es.«
Beth entlässt mich und wendet sich wieder ihrem Computer zu.
Kleinlaut verlasse ich das Zimmer.
Da ruft sie mir hinterher: »Was ist denn mit diesem Mädchen?«
Ich drehe mich um. »Was?«
»Was ist mit dem Mädchen, von dem du mir erzählt hast? Amy.«
Immer wenn sich Beth plötzlich doch mal für irgendwas aus meinem Leben interessiert, werde ich misstrauisch.
»Wieso fragst du das?«
»Ich will bloß wissen, ob du meinen Rat angenommen und ihr ein Kompliment gemacht hast.«
»Ja, schon«, sage ich. »Hat aber nicht funktioniert.«
»Dann hast du was falsch gemacht.«
»Was soll’s«, brummele ich und verschwinde.
Ich gehe nach unten in die Küche und vollführe mein Herdritual. Lege die Hand auf jede Herdplatte, um mich zu vergewissern, dass sie kalt ist, und zwar immer im Uhrzeigersinn. Dann starre ich jeden Drehknopf an und stelle sicher, dass sie alle auf null stehen. Danach betrachte ich eine Weile die Leuchten, die angehen, wenn eine Platte eingeschaltet ist, und versuche herauszufinden, ob wirklich alles aus und nicht irgendwas kaputt ist. Und dabei zerbreche ich mir dieganze Zeit über den Kopf, ob ich Steve von dem Gespräch mit Beth erzählen soll oder lieber nicht.
Dann fange ich mit dem Herdritual noch mal von vorne an. Man kann ja nie wissen.
J etzt sitzen Amy und ich schon eine Dreiviertelstunde vor unsern Mathebüchern und haben sie noch nicht mal aufgeschlagen. Im letzten Monat sind wir ein paarmal pro Woche zusammen gewesen, aber das Lernen wird immer mehr verdrängt von … na ja, von der Lust am Zusammensein. Natürlich beklage ich mich nicht, und das liegt nicht nur an meiner Matheunlust, wie man sich denken kann.
»Willst du später mal heiraten?«, fragt Amy.
Eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen ist es, mir irgendwelche rein hypothetischen Fragen zu stellen und zu sehen, wie ich reagiere. Meistens lacht sie über meine Antwort, manchmal kommt es mir sogar so vor, als würde sie mit mir statt über mich lachen. Ich fühle mich in ihrer Gegenwart nach und nach immer entspannter – so wohl habe ich mich noch nie mit einem Mädchen gefühlt.
»Ja, ich möchte später mal heiraten«, antworte ich.
»Willst du Kinder haben?«
»Klar.«
»Wie viele?«
»Zwei Komma fünf.«
Amy bricht in Lachen aus. »Zwei Komma fünf? Wie soll das denn gehen?«
»Die Durchschnittsfamilie hat zwei Komma fünf Kinder. Habe ich irgendwo gelesen.«
»Man kann doch kein halbes Kind haben!«
»Weiß ich doch. Das ist eben der Durchschnitt.«
Amy lacht wieder. Schon ihr Lächeln bete ich an, aber ihr Lachen ist wie Musik in meinen Ohren – wie akustische Hände-Desinfektion.
»Wer will schon Durchschnitt sein?«
Das ist eins von den vielen Dingen, die mir Sorgen machen in meiner Beziehung zu Amy (auch wenn es streng genommen keine Beziehung ist, wie mich Dr. S. erinnern würde). Amy spielt in einer ganz andern Liga als ich. Nicht mal im Traum denkt sie daran, durchschnittlich zu sein. Sie hat schon wer weiß wo in den USA gelebt, sie trägt die Army-Jacke von ihrem Dad und will bei einer Band mitmachen, sie benutzt Ausdrücke wie »bombig« und »Bonzending«. Sie hat’s echt drauf. Ich dagegen würde glatt jemanden töten, nur um so zu sein wie alle. Der Durchschnitt ist mein Lebensziel. Aber das sollte sie lieber nicht erfahren, ist schon klar.
»Warst du schon mal verliebt?«, will sie wissen.
Kurz erwäge ich, einfach »Ja« zu sagen und zu hoffen, dass sie merkt, ich meine sie. Aber das kommt mir irgendwie lahm vor, vielleicht habe ich auch nur zu viel Schiss.
»Nein«, antworte ich also. »Und du?«
Meiner Vorstellung nach muss Amy schon unzählige Gelegenheiten zum Verliebtsein gehabt haben.
Aber sie überrascht mich. »Ich auch nicht.«
»Wirklich?«
»Glaub ich zumindest«, fügt sie hinzu. »Ich denk mir, ich würde es merken, wenn ich’s wäre.«
»Stimmt wohl«, sage ich, obwohl ich keine Ahnung davon habe.
»Lass uns was Leichteres nehmen«, schlägt Amy vor.
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