Chucks Welt
sie.
»Das ist Wahnsinn! Das hättest du nicht machen müssen.«
»Wollte ich aber. Probier mal!«
Ich greife in die Schachtel und nehme mir einen Cupcake. Keine Ahnung, ob ich dabei ein komisches Geräusch oder eine abrupte Bewegung mache oder so, jedenfalls erschreckt sich Buttercup und rennt auf einmal kreuz und quer in meinem Zimmer rum, schlabbernd und haarend. Schon wieder spüre ich den Ausschlag am Hals, den es in Wirklichkeit gar nicht gibt.
Amy greift in die Schachtel und schnappt sich auch einen Cupcake. Mit einem Auge betrachte ich den Cupcake in meiner Hand, mit dem andern behalte ich Buttercup im Blick. Mit jeder Faser meines Wesens bemühe ich mich darum, nicht auszuflippen.
Ich ziehe das Papier ab – eine simple Aufgabe, die Millionen von normalen Teenagern jeden Tag problemlos bewältigen. Meine Finger versinken tief in dem schwammartigen Kuchenteig. Ein Kloß bildet sich in meiner Kehle. Amy futtert schon drauflos. Sie leckt sich die Lippen, was ich in jedem andern Zusammenhang so sexy finden würde wie sonst nichts auf der Welt.
Reiß dich zusammen, Chuck. Reiß dich zusammen.
Ich schaffe es, ein Stück abzubeißen. Aber ich schmecke nicht mal was. Buttercup schnüffelt an meiner Schranktür, hinter der sich meine absurd große Kollektion von Chucks verbirgt.
»Schmeckt’s dir?«, fragt Amy.
»Ja«, sage ich so überzeugend wie möglich. »Super!«
»Schön, freut mich.«
Meine Hände fangen an zu zittern. Ich spüre Krümel und Glasurauf Lippen und Fingern. Ich habe eine Gänsehaut am ganzen Körper und es juckt mich überall.
Tu normal. Tu normal. TU NORMAL!
Ich habe Angst, gleich kotzen zu müssen. Der Hundegeruch. In meinem Zimmer.
»Alles okay mit dir?«, fragt Amy.
»Ja«, murmele ich. »Bisschen heiß.« Und kalt. Zugleich.
»Na ja, jedenfalls danke für alles«, sagt Amy und lächelt mich strahlend an. Meine Augen werden feucht. Muss Hände waschen.
»Okay.« Mehr bringe ich nicht über die Lippen.
Auf einmal verliert Buttercup das Interesse an meinem Schrank, stürmt auf mich zu und springt mir auf den Schoß. Mir bleibt nichts übrig, als den Cupcake zurück in die Schachtel zu legen und die Schachtel neben mich zu stellen – mitten auf mein beschissenes Bett. Buttercup liegt mir jetzt in den Armen.
Amy kichert. »Normalerweise mag sie keine Jungs.«
Sie sieht mich an. Ihre Augen sind so blau. Ich erwidere ihren Blick. Etwas passiert.
Da fängt Buttercup an, mir Krümel und Glasur von den Fingern zu schlecken.
VERDAMMTE SCHEISSE, DA IST DIESER WIDERLICHE HUND AUF MEINEM BETT UND LECKT MIR EKLIGES ESSEN VON MEINEN SCHEISS-FINGERN.
»Oje, so was hat sie ja noch nie gemacht!«, sagt Amy.
Mein Rücken ist schweißnass.
Sie schaut mir in die Augen.
Sie fährt sich mit der Zunge über die Lippen.
Sie schließt die Lider.
Sie kommt mit dem Gesicht auf mich zu.
Ich halte es nicht mehr aus.
Ich drehe durch.
Genau in dem Moment, bevor sich unsere Lippen berühren,springe ich vom Bett auf, schubse Buttercup auf den Boden und stoße dabei versehentlich die Schachtel um. Buttercup fällt auf sie drauf und zerquetscht aufjaulend die restlichen Cupcakes. Ich renne aus dem Zimmer ins Bad.
Ich drehe den Hahn voll auf und halte Hände und Gesicht unters Wasser. Hektisch pumpe ich Seife aus dem Spender, immer wieder. Mein Kopf schaltet ab. Die Seife und meine Panik stehen einander gegenüber wie bei einer Schlachtenszene in Braveheart .
Die Seife gewinnt irgendwann. Nach einer gefühlten Ewigkeit des Waschens und Schrubbens komme ich wieder zu mir. Und mir wird klar, was ich eben getan habe. Oh, Scheiße.
Ich trockne mich ab und laufe zurück in mein Zimmer. Amy hat die Kuchenschachtel zusammengeräumt und Buttercup wieder an die Leine genommen. Sie weint. Und ist immer noch schön.
»Amy …«
Vor lauter Weinen kann sie kaum sprechen. »Red nie mehr ein Wort mit mir!«
»Aber …«, stottere ich.
Sie schluchzt. Ein großer, tieftrauriger Schluchzer. Mein Herz scheint stillzustehen.
Sie schnappt sich die Schachtel und nimmt die Leine, dann stürmt sie mit Buttercup im Schlepptau aus dem Zimmer. Ich höre sie schniefen, während sie die Treppe runterläuft und das Haus verlässt.
Und fange auch an zu weinen.
I ch nehm jetzt die Lexapros.«
»Wie bitte?« Dr. S. setzt ihre Brille ab. Das hat sie bis jetzt noch nie gemacht.
»Ich nehm jetzt die Lexapros.«
»Seit wann?«
»Seit ein paar Tagen.«
Sie setzt die Brille wieder auf und kritzelt
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