Chuzpe: Roman (German Edition)
daß niemand auf die Idee kommen würde, Edeks Örtchen als Top-Location zu bezeichnen. Top-Locations für Speiselokale grenzten selten an Autowerkstätten. Wer wollte schon Fleischklopse in unmittelbarer Nachbarschaft zu schwarzer Schmiere, Metallspänen und Rußablagerungen verzehren?
Ruth erreichte Brown. Sie hatte es aufgegeben, sich zu überlegen, was sie sagen wollte. Sie hatte nichts zu sagen. Das, was die drei planten, war allzu unbegreiflich, wenn nicht gar irrsinnig. Sie begrüßte Alejandro, der außer Brown auch noch einen Catering-Service besaß. Im Nebenberuf war Alejandro mit dem Entwerfen, Herstellen und Vertreiben von Handtaschen und Skateboards in Europa und Amerika beschäftigt. Er war intelligent, sprachgewandt und mehrsprachig. Diese Überdosis an Fähigkeiten war in New York nichts Außergewöhnliches.
»Hast du gesehen die Attorney Street?« war Edeks erste Frage, als er sie sah.
»Ja«, sagte Ruth.
Alle drei küßten sie zur Begrüßung. Sie setzte sich.
»Ich bin sehr froh, daß du sie hast gesehen, Ruthie«, sagte Edek.
»Ja«, sagte Zofia.
Sie sahen Ruth erwartungsvoll an.
»Es ist eine sehr kleine Straße«, sagte Ruth.
»Ja«, rief Edek aus, als ginge es um die Entdeckung einer Diamantenmine.
»Die Straße ist menschenleer«, sagte Ruth.
»Ja«, sagte Edek triumphierend.
»Es gibt keine Fußgänger und keinen Autoverkehr«, sagte Ruth.
»So ist es, Ruthie«, sagte Edek. »Es ist sehr ruhig.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob eine sehr ruhige Lage die richtige Voraussetzung für eine Imbißbude ist«, sagte Ruth.
»Eine Bratfischbude?« sagte Edek. »Wir planen keine Bratfischbude. Wir planen zu machen Klops. Klops, nicht Bratfisch.«
»Ich sagte Imbißbude, nicht Bratfischbude«, sagte Ruth.
»Imbiß, nicht Bratfisch«, sagte Zofia zu Edek.
»Wieso Imbiß statt Klops?« sagte Edek verwirrt.
»Ein Imbiß ist ein kleines Lokal, in dem Speisen verkauft werden«, sagte Ruth. »Und die Speise, die ihr verkaufen wollt, sind Klopse und nicht Bratfisch.«
»Das weiß ich«, sagte Edek. »Wir hatten nie vor zu verkaufen Bratfisch.«
»Dad, was ich sagen will«, sagte Ruth, »ist, daß die Attorney Street keine besonders gute Lage darstellt, wenn man Klopse oder Bratfisch oder Brathuhn oder Spaghetti verkaufen will. Es ist keine gute Location.«
»Vielleicht es ist keine gute Lage für Bratfisch oder Brathuhn oder Spaghetti«, sagte Edek. »Aber es ist eine gute Lage für Klops.«
Walentyna war allmählich nervös geworden. »Vielleicht hat Ruthie recht«, sagte sie. »Vielleicht ist es die falsche Straße.«
»Walentyna«, sagte Edek sanftmütig, »Zofia weiß, was sie tut.«
»Du hast recht, Edek«, sagte Walentyna, die wieder Mut faßte. »Ich hatte nicht geglaubt, daß wir eine Greencard gewinnen würden. Zofia war sicher, daß wir eine gewinnen würden.«
An Zofias Logik stimmte etwas nicht, dachte Ruth. Esbestand kein Zusammenhang zwischen der Fähigkeit, ein Restaurant zu eröffnen und zu führen, und dem Hoffen auf einen Zufallstreffer in einer Greencard-Lotterie.
»Das Örtchen ist das richtige Örtchen für uns«, sagte Edek.
»Warum, Dad?« fragte Ruth.
»Weil es ist sehr billig«, antwortete er.
»Es ist billig, weil kaum jemand dorthin will«, sagte Ruth.
»Das ist wahr«, sagte Edek. »Niemand will sein Nachbar von einem Automechaniker. Leute, was reparieren Autos, haben immer so dreckige Werkstätten. Das muß nicht heißen, daß ein Restaurant nebenan muß sein dreckig.«
»Ich denke aber, es wäre sehr abschreckend«, sagte Ruth. »Selbst wenn die Straße voller Leute und Cafés und Restaurants wäre, was sie nicht ist, wäre es immer noch abschrekkend.«
Edek sah Ruth an und präsentierte mit kaum verhohlener Genugtuung seine Trumpfkarte. »Ich habe mich unterhalten mit dem Automechaniker, was ist nebenan«, sagte er. »Und der Automechaniker hat gesagt, daß er zumacht. Er hat gesagt, daß er zumacht seine Autowerkstatt und umzieht nach Brooklyn.«
»In drei Wochen«, sagte Zofia und nickte, als hätte der Umzug des Automechanikers jedes Hindernis aus dem Weg geräumt.
»Es hat genau die richtige Größe«, sagte Edek. »Wir werden haben nur sieben oder acht oder vielleicht neun oder zehn Tische. Ist das richtig, Zofia?« sagte er.
»Das ist richtig, Edek«, sagte Zofia.
»Wieviel kostet diese billige Location?« fragte Ruth Edek.
»Sie ist billig«, sagte Edek.
»Wie billig ist billig?« fragte Ruth.
»Sehr billig«, sagte Edek.
»Dad,
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