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Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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Fink gütig und widmete sich dann wieder seinen Gedanken. Neben ihm kämpfte Bronstein kurz mit seinem Gewissen, dann machte er sich über das dargereichte Gericht her und aß mit einer solchen Geschwindigkeit, als gelte es, einen Weltrekord aufzustellen. Nach einigen Minuten war der Teller leer, und Bronstein hatte Mühe, ihn nicht mit beiden Händen an den Mund zu führen, um ihn auch noch abzulecken. Fink hatte in der Zwischenzeit seine Nachspeise erhalten und zahlte den vom Kellner genannten Betrag. Bronstein, in dem das hervorragende Mahl noch eine kleine Weile nachgewirkt hatte, begann sich in der Gesellschaft des Spitzenpolitikers wieder unwohl zu fühlen. Verlegen spielte er mit dem Tischtuch und wusste nicht, ob er sich einfach so entfernen durfte, nachdem er die Einladung Finks angenommen hatte. Doch da ihn der Vorarlberger weiter nicht beachtete, begann der Major, sich wieder im Saal umzusehen. Vor allem die Sozialdemokraten wirkten auf ihn überaus geschäftig. Seltsam irgendwie, dachte er, da war ihr Übervater noch keine 24 Stunden tot, und schon schien keiner von ihnen mehr an ihn zu denken.
    Übervater!
    Bronstein wurde siedendheiß bewusst, dass er sich seit zwei Tagen nicht mehr nach dem Gesundheitszustand seines Vaters erkundigt hatte. Zu gern wäre er zu seiner Mutter geeilt, um sie zu fragen, wie die Dinge lagen, doch in zwei Stunden musste er wieder im Plenarsaal anwesend sein, und in dieser Zeitspanne war ein Unternehmen wie dieses nicht ins Werk zu setzen. Vielleicht, so überlegte er weiter, würde es ihm gelingen, am Abend bei seiner Mutter Nachschau zu halten.
    In diesem Augenblick trat ein Parlamentsbediensteter an ihn heran: „Herr Major Bronstein?“ Er nickte. „Sie werden am Telefon verlangt.“
    Bronstein war sprachlos. Wer wusste, dass er hier war, hier im Parlamentsrestaurant? Wenn da ein Vorgesetzter ihn zu sprechen wünschte, dann würde er nun fraglos etwas zu hören bekommen, schoss es Bronstein in den Sinn, und in ermatteter Langsamkeit schritt er auf den Apparat zu, der auf der Theke der Schank stand. Zögernd nahm er die erforderlichen Geräte in die Hand. „Jawohl?“
    Es war Pokorny. „Grüß dich, Chef! Wusste ich doch, dass ich dich um die Zeit im Restaurant finde. Wie immer gäb’s viel zu erzählen, aber das hat alles Zeit bis morgen. Jetzt will ich dir nur sagen, dass wir morgen alle auf den neuen Staat vereidigt werden. Im Präsidium findet eine entsprechende Zeremonie statt. Punkt neun Uhr! Ich hab mir nur gedacht, ich sag dir’s, damit du auf jeden Fall Bescheid weißt. Also nicht vergessen. Um neun Uhr im Präsidium.“
    Bronstein dankte Pokorny für die Information und legte postwendend wieder auf, um zu verhindern, dass dieser ihn mit weiteren Auslassungen behelligte. Er war schon wieder auf dem Weg zu seinem Platz, als ihm die Bedeutung des Telefons bewusst wurde. Damit würde er sich nach seinem Vater erkundigen können! Er hob noch einmal den Hörer ab und ließ sich vom Fräulen vom Amt mit dem Spital verbinden, in dem sein Vater lag. Zu seiner Überraschung funktionierte das auch, und so hatte er nach einigen Übergaben endlich den Primar am Rohr. Sein Begehr war rasch erklärt, und der Arzt hielt daraufhin seine Gegenrede. Der Vater sei stabil, doch das sei im Augenblick das einzig Positive, da der Mann weiterhin schwer krank sei. Auf nähere Nachfrage wurde der Mediziner deutlicher. Der Vater habe gegen Mittag des vorangegangenen Tages das Bewusstsein verloren und sei seitdem nicht mehraufgewacht. Das müsse aber noch nichts heißen. Der Körper kämpfe gegen die Krankheit, und es sei nicht ungewöhnlich, dass eine solche Krisis erfolgreich überwunden werde. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt könne man jedoch wenig mehr machen als abzuwarten. Der Patient werde aber gut versorgt, zudem wache seine Gattin seit dem Vortag praktisch rund um die Uhr an seinem Bett. Bronstein konnte nicht gerade behaupten, dass ihn diese Information beruhigte, aber er erkannte, dass er selbst zum Ausgang dieser Sache nichts beitragen konnte. Also drückte er erneut jemandem seinen Dank aus, diesfalls dem Primar, und beendete sodann das Gespräch. Voller innerer Unruhe verließ er die Restauration, ohne sich vom Präsidenten Fink zu verabschieden, und schlenderte durch die Säulenhalle zum Ausgang des Parlaments. Auf der Rampe gedachte er frische Luft zu schnappen. Doch er war kaum aus dem Gebäude getreten, als er sich einer gewaltigen Menschenmenge gegenübersah. War denn das

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