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Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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ihre Hände die unteren Regionen von Bronsteins Leib erreicht. „Die den Würgegriff des Kapitals bricht.“ Bronstein hielt den Atem an, da Jelkas Finger seine Hoden umschlossen. „Die dafür sorgt, dass die Bourgeoisie dem Proletariat nicht länger die Luft zum Atmen nimmt.“ Jelkas Lippen umschlossen jene Bronsteins, und ein tiefer und inniger Kuss unterbrach das politische Referat. Nun konnte sich auch der Major nicht länger zurückhalten, und er umklammerte Jelka mit überschäumender Leidenschaft.
    Nachdem Bronstein sich gesäubert hatte, zog er seine Kleidung wieder an und legte sich in Unterhemd und Hose neben Jelka ins Bett: „Ich trete eurer Partei dennoch nicht bei“, sagte er mit schelmischem Unterton.
    „Das ist auch deine einzige Möglichkeit, einem Ausschluss zu entgehen“, schmunzelte sie. Eine kleine Weile später blickte Bronstein auf die Uhr. Es war knapp vor neun Uhr abends. „Sag, hast du keinen Hunger?“
    „Na ja, wenn du mich so direkt fragst. Aber ich fürchte, ich habe rein gar nichts da.“ Bronstein überlegte: „Und was, wennwir in dieses Beisl gegenüber gehen? Vielleicht hat der noch irgendetwas Essbares?“
    „Möglich wäre es.“
    „Na dann. Gemma, oder?“
    Jelka streckte sich. „Eigentlich war das ein harter Tag, den ich in seinen Facetten erst einmal verdauen muss. Ich glaube, ich bleibe lieber hier. Wenn mir draußen zufällig einer von den Genossen begegnet, dann hätte ich wohl einigen Erklärungsbedarf. Und danach steht mir im Augenblick nicht wirklich der Sinn. Ich habe seit Sonntagabend durchgearbeitet, und ich fühle, wie müde ich bin.“
    Bronstein wurde unsicher. „Soll ich lieber gehen?“ Jelka sah ihn von der Seite an: „Geh doch in das Beisl und sieh zu, ob du etwas zu essen bekommst. Ich schlafe einstweilen eine Runde. Aber ich würde mich freuen, wenn du später zurückkommst und bei mir schläfst. Nimm doch einfach die Schlüssel mit.“ Nach einigem Zögern berschloss er, die Wohnung für eine kleine Weile zu verlassen.
    Erst als er eine Portion in Speiseöl gekochte Erdäpfel gegessen und sich eine Zigarette angezündet hatte, wurde ihm bewusst, dass er einige Stunden zuvor eigentlich unerlaubt seinen Posten verlassen hatte. Er war einfach mit Jelka aus der Gefahrenzone geeilt, ohne jemandem zu sagen, wohin er sich begab. Bronstein dachte an die vielen Toten, der er beim Parlament gesehen hatte, und kam zu dem Schluss, dass er für die Wiener Polizei als verschollen gelten musste. Wenn ihm bis zum folgenden Tag keine plausible Erklärung einfiel, dann sah er wohl einem Disziplinarverfahren entgegen. Und während er rauchte, ging er seine Alternativen durch.
    Er konnte behaupten, jemand habe ihn bewusstlos geschlagen, woraufhin er von irgendwelchen Personen in Sicherheit gebracht worden sei. Diese Version klang aber nur bei oberflächlicher Betrachtung plausibel. Natürlich würde man sichfragen, wo denn die Beule sei, die zum Verlust des Bewusstseins geführt habe. Noch problematischer freilich war seine Lage, falls ihn jemand dabei beobachtet hatte, wie er mit Jelka den Ort des Geschehens verlassen hatte, oder wenn, und das wäre fraglos am fatalsten, wenn die Volkswehrmänner sich seiner erinnerten und von ihrer Begegnung mit Bronstein Meldung machten. Dafür kam ihm ein anderer Gedanke: Er war eben im Begriff gewesen, eine Kommunistin zu arretieren, als er sich plötzlich von weiteren Aufrührern umzingelt sah, die ihn abgedrängt hatten, sodass er sich mangels Unterstützung, der Übermacht Rechnung tragend, diesen habe ergeben müssen. Erst nach Stunden sei ihm die Flucht geglückt.
    Diese Version konnte leidlich durchgehen, befand er. Niemand war in der Lage zu behaupten, er wüsste, wohin Bronstein mit Jelka hatte gehen wollen. Dass er sich vom Parlament entfernt hatte, besagte an sich noch gar nichts. Es war schließlich auch möglich, dass er sie aufs Präsidium hatte schleppen wollen. Und es war mehr als unwahrscheinlich, dass ihn irgendwer länger als bis zum Eingang des Volksgartens beobachtet oder gar verfolgt hatte. Solange also niemand den Taxifahrer ausfindig machte, der sie zum Karmeliterplatz geführt hatte, war Bronstein dienstrechtlich ungefährdet.
    Ach was, dachte er sich schließlich und bestellte noch einen Slibowitz, im Augenblick war er streng genommen gar kein Polizist, also konnte auch das Dienstrecht nicht für ihn gelten. Er war durch den Gesetzesbeschluss der Nationalversammlung von seinem Eid als kaiserlicher

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