Chuzpe
sein, der sie in dieses Haus geführt hatte, denn es gab keinen ersichtlichen Grund, weshalb sie von sich aus dorthin hätte gehen sollen.
Bronstein überlegte, ob es eine Verbindung zwischen den Beschäftigten des Betriebes und der Feigl geben konnte, doch er verwarf diesen Gedanken alsbald wieder, denn ein kleiner Handwerksgeselle würde kaum so viel Geld aufbringen können, in einem gutbürgerlichen Lokal den Herrn Baron zu markieren. Er erinnerte sich an den Bericht Pichlers, wonach der alte Bergmann zwei Söhne hatte. Doch der eine stand, wie es hieß, noch im Feld, und der andere war in Ungarn gewesen. Die kamen also auch nicht in Frage. Verärgert dämpfte Bronstein die Zigarette aus. Es war wie verhext! So sehr er sein Gehirn auch anstrengte, er vermochte keine Verbindung zwischen der Feigl, ihrem Galan und der Polsterei herzustellen. Was aber trieb eine kleine Modistin des Nachts in solch einem Betrieb?
„Was hat di g’ritten, Madl“, murmelte Bronstein halblaut.
„Wobei?“
Erstaunt drehte er sich um und sah, dass Jelka sich im Bett aufgesetzt hatte und ihren Tee in kleinen Schlucken zu sich nahm.
„Ich hab nicht dich gemeint, meine Liebe“, erklärte er, „mir geht der Fall nicht aus dem Schädel, den ich zu lösen habe.“
„Aha, und was für ein Fall ist das?“
Bronstein holte tief Luft und begann, Jelka die Geschichte zu erzählen. Das Opfer sei erwürgt worden, doch ihr Angetrauterhabe ein hieb- und stichfestes Alibi. Der Vater, ihr Brotherr und der Besitzer des Betriebs, in dem ihre Leiche gefunden wurde, kämen gleichfalls für die Tat nicht in Frage. Es gebe einen Zeugen, der sie mit einem jungen Stutzer gesehen habe, doch über den wisse man kaum mehr als ein paar äußerliche Details. Und damit stehe er, Bronstein, in diesem Fall vollkommen vor einem Rätsel und wisse nicht, wo er noch ansetzen könne. Jelka machte eine nachdenkliche Miene: „Eifersucht?“
„Das wäre durchaus möglich“, räumte Bronstein ein, „doch wer sollte hier Grund zur Eifersucht haben? Der Angetraute war zur Tatzeit nachweislich in den Armen einer anderen, und der eitle Kerl hatte wiederum keinen Grund zur Eifersucht, da die Feigl sich ja ihm schon zugewandt hatte.“
„Na ja, vielleicht war der junge Herr ja nicht ungebunden“, warf Jelka ein. Bronstein blickte auf: „Du meinst, die Feigl wurde von einem verheirateten Mann geangelt, und dessen Frau sann sodann auf Rache?“
„Soll schon vorgekommen sein.“
„Du, die Feigl wurde erwürgt. Und sie hat sich anscheinend nicht sonderlich gewehrt. Glaubst du, eine Frau bringt so etwas zuwege? Wenn mir jemand das Leben nehmen will, dann kämpfe ich bis zum letzten Atemzug. Ich kratze, beiße, trete. Es gäbe einen, im wahrsten Sinn des Wortes, mörderischen Kampf. Davon hätten wir Spuren gefunden. Nein, die Person, welche die Feigl auf dem Gewissen hat, muss derartige Bärenkräfte besitzen, dass die arme Frau praktisch sofort wehrlos war und nicht mehr reagieren konnte.“
„Vielleicht war der Strizzi ja mit einer Ringerin liiert?“
„Jelka, jetzt wirst unernst.“
Sie schürzte die Lippen und sah Bronstein kurz an: „Tja, ich fürchte, ich kann dir auch nicht helfen. Diese grauslichen Begleiterscheinungen des Kapitalismus musst du wohl alleine in den Griff bekommen.“
„Apropos in den Griff bekommen. Ich muss jetzt dann bald los. Wir haben um neun Uhr im Präsidium einen offiziellen Termin, bei dem ich nicht fehlen darf. Danach werde ich wohl in der genannten Causa im Trüben fischen. Sehen wir uns trotzdem heute noch einmal?“
Jelka zögerte ein wenig mit ihrer Antwort. Dann beugte sie sich nach vor, öffnete die Lade des Nachtkästchens, kramte darin herum, holte einen Gegenstand hervor und warf ihn mit einem entsprechenden Warnruf Bronstein zu. Der fing ihn auf. Er hielt einen Schlüsselbund in seinen Händen.
„Das ist der Zweitschlüssel zu dieser Wohnung. Der größere sperrt das Haustor, der kleinere die Eingangstür. Ich habe natürlich keine Ahnung, was die Genossen nun vorhaben, und es wäre möglich, dass es spät wird. Aber ich würde mich sehr freuen, wenn du da wärst, wenn ich zurückkomme.“
Auf Bronsteins Gesicht zeigte sich ein glückseliges Lächeln. Wenn eine ledige Frau einem den Schlüssel zu ihrer Wohnung gab, dann gab sie einem damit den Schlüssel zu ihrem Herzen. Erstmals seit fünf Jahren befand er sich also wieder in einer Liaison. Er war so glücklich, dass er am liebsten aufgesprungen wäre und wie
Weitere Kostenlose Bücher