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Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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sie den Karmeliterplatz.
    Zu Bronsteins Freude hatte das kleine Beisl gegenüber Jelkas Wohnung offen, und so betrat er es kurzentschlossen, um dort eine Flasche Slibowitz zu erstehen. Danach querte er den Platz und enterte mit Jelka im Schlepptau deren Wohnung. Er platzierte sie auf einem der Stühle und füllte zwei Achtellitergläser mit Schnaps. Wie auf Kommando tranken beide ihr Behältnisauf einen Zug leer. Dann sah Bronstein Jelka durchdringend an. Er fühlte, wie seine Angst um die von ihm geliebte Frau in Zorn umschlug.
    „Was hast du dir dabei gedacht, um Himmels Willen?“, belferte er, „so einen dilettantischen Schwachsinn habe ich ja seit 1915 nicht mehr gesehen! Ihr könntet alle tot sein! Und wofür? Ich dachte, ihr wollt die Welt verändern. Glaubst du, das erreicht man mittels kollektiven Suizids?“
    Die heftige Reaktion des Majors erweckte nun auch in Jelka wieder die übliche revolutionäre Entschlossenheit. „Und glaubst du, wir können schweigen angesichts einer solch maßlos verlogenen Veranstaltung?“
    „Verlogene Veranstaltung“, brauste Bronstein auf, „was soll denn das heißen! Die Monarchie hat sich selbst in den Abgrund gewirtschaftet, und sie ist unbeweint verschieden. Jetzt haben wir endlich alle die Chance auf einen Neubeginn. Und ihr meint, das sei verlogen? Das kann doch nicht dein Ernst sein!“
    „Na was sonst! Die Sozialdemokraten erklären uns, die Arbeiterklasse könne nicht aus eigener Kraft das Werk der Befreiung vollziehen, könne sich nicht ohne die Hilfe anderer von den Nöten des Krieges und vom furchtbaren Elend des Zusammenbruchs des Kapitalismus befreien. Sie sagen uns, wir bräuchten die Anleitung durch die Bourgeoisie, weshalb man mit ihr zusammenarbeiten müsse. In Wirklichkeit bringen sie damit nur ihr Misstrauen gegenüber den Fähigkeiten des Proletariats zum Ausdruck. Sie vertrauen lieber weiterhin den Ausbeutern und Unterdrückern, deren Vertreter gemeinsam mit den Sozis in der Regierung sitzen. Es ist doch grotesk, wenn die Sklavenhalter, die uns schon in der Monarchie unter ihrer Knute hatten, nun diejenigen sein sollen, die uns auf den Weg ins gelobte Land der Freiheit führen.“
    Bronstein schüttelte unwillkürlich den Kopf: „Jetzt übertreibst aber. Was allein der Hanusch ...“
    Doch Jelka schnitt ihm das Wort ab: „Sieh dir doch diese Regierung an! Das Sagen haben die Pfaffen und die Großgrundbesitzer, an deren Seite die Renners und Bauers sich als Hilfsarbeiter in der Staatskunst üben dürfen. Mit einer solchen Republik ändert sich nichts. Die einen bleiben die Meister, die anderen die Lehrbuben. Die einen machen den Profit, die anderen räumen die Werkstatt auf. Die einen schaffen an, die anderen gehorchen. Eine solche Republik brauche ich nicht, die kann mir gestohlen bleiben.“
    Bronstein verspürte keine Lust auf eine weitere politische Diskussion. „Jetzt lass doch einmal die Berufsrevolutionärin beiseite. Was jetzt kommt, das kann nur besser sein als das, was bisher war. Schau dir doch an, was die Hanuschs, Reumanns und Domes zuwege bringen. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann es zuletzt Grund zu so großer Hoffnung gegeben hat. Das Programm, das sie verkünden, klingt doch überaus verlockend. Sie wollen den Reichtum der wenigen begrenzen und den vielen eine Chance auf gedeihliche Entwicklung geben. Sie haben ihre Lehre aus dieser Finanz- und Wirtschaftskrise und aus den Folgen, die sie zeitigte, gezogen. Jetzt folgt ein Neubeginn, weil das Volk sich seiner Stärken bewusst wird und erkennt, es kann, wenn es nur will.“
    „Genau dazu braucht das Volk aber auch die Macht, die erforderlichen Veränderungen durchzusetzen. Das geht nur im Wege der unbedingten Volksherrschaft …“
    „Na eben“, fiel ihr Bronstein ins Wort, „Demokratie, das heißt doch Volksherrschaft.“
    „In Form des bürgerlichen Parlamentarismus wird das Wort Demokratie geschändet, denn Parlamentarismus bedeutet im diametralen Gegensatz zum Rätesystem nichts anderes als Klassenherrschaft. Im Übrigen war gerade die athenische Demokratie, auf die sich die Verteidiger dieses Ausbeutungssystems immer so gerne berufen, gleichfalls eine Klassenherrschaft,denn der Demos, der da herrschte, das war nur die Summe der männlichen Stimmbürger. Für Frauen, Taglöhner und Sklaven war da kein Platz, genauso wie in unserer Demokratie.“
    „Du hast recht, wenn du auf den Reichsrat der Monarchie Bezug nimmst. Da hattet weder ihr Frauen das Stimmrecht noch

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