Chuzpe
Des is erst recht a Tortur. Wissen S’, I hab jung g’heiratet, weil was Kleines unterwegs war. A Notheirat sozusagen. Und im Jahr drauf ist schon das nächste Bauxerl kommen. A Tragödie, weil meine Frau und ich, wir haben uns eigentlich nie was zum Sagen g’wusst. Seit drei Jahren leben wir de facto getrennt von Tisch und Bett, wenn Sie so wollen. Die Ehe besteht nur mehr auf dem Papier. Deswegen war ja die Edith so rapplert, deswegen wollt sie ja, dass ich endlich sie heirat’.“
Nun, das konnte etwas für sich haben, dachte Bronstein. Er gab sich mit der Antwort zufrieden, deutete einen Gruß an und setzte sich in Bewegung. Er war schon an der Tür, als er sich noch einmal umwandte: „Das Fräulein Edith ist nicht zufällig da?“
„Doch, ich glaub schon. Schau’n S’ einmal in der Halle nach.“
Bronstein verabschiedete sich und ging ins Erdgeschoß hinunter. Tatsächlich sah er die Čudnow an einem Tisch sitzen und verschiedene Stoffmuster prüfen. „Fräulein Čudnow“, begann er, als er sie erreicht hatte, „ob S’ vielleicht ein wengerl Zeit für mich hätten?“
„Um was geht’s denn?“, wollte sie wissen.
„Das können Sie sich wahrscheinlich denken. Der Mord letzte Woche.“
„Ah ja, der. Gut. Wollen S’ da – oder soll ma woanders hin?“
Bronstein zuckte mit den Schultern: „Mir is des wurscht.“
„Na, dann bleiben wir gleich da. Was wollen S’ wissen?“
„Fangen wir ganz einfach an. Wie war das, als die Leiche gefunden wurde? Wo waren Sie da?“
„Daheim?“ Die Čudnow legte den Kopf schief und sah Bronstein fragend an.
„Sie waren also nicht noch spätabends hier im Büro?“
„Wozu hätte das gut sein sollen? Der Herr Bergmann hat uns frei gegeben, weil es ja weder Aufträge noch Material gegeben hat. Der Fritzl ist ins Ungarische g’fahren, um Nachschub zu holen, und ich hab wie alle anderen auch darauf gewartet, dass es wieder weitergeht.“
Bronstein nickte zum Zeichen, dass er die Antwort zur Kenntnis genommen hatte. „Und wann haben Sie dann von der Tat erfahren?“
„Am nächsten Morgen. Wie alle anderen auch!“
„Das heißt am Donnerstag?“
„Genau.“
„Und wo wohnen Sie?“
„Im sechsten Bezirk. In der Luftbadgass’n.“
„Das ist nicht weit von hier, oder?“
„Na ja, auf der anderen Seite vom Wienfluss.“
„Dort waren Sie allein?“
Die Čudnow begann unwillig zu werden. „Verdächtigen Sie mich, Herr Inspektor? Dann sagen S’ es gleich. Ich mag das nicht, wenn man wie die Katze um den heißen Brei herumschleicht! Sicher war ich allein! Wenn ich g’wusst hätt, dass ich ein Alibi brauch, hätt ich mich rechtzeitig drum gekümmert.“
„Na ja, auch wieder wahr“, gab sich Bronstein kulant. „Wie war Ihr Verhältnis zu Herrn Willi Bergmann?“
„Warum wollen S’ jetzt das wissen?“
„Sie müssen schon entschuldigen, gnädiges Fräulein, aber die Fragen stell ich hier. Also, wie war das Verhältnis?“
Die Cudnow lächelte milde: „Da war kein Verhältnis. Verschossen war er in mich, der arme Bua. Aber da ist natürlich nix gegangen. Ich bin ja keine Kinderverzahrerin.“
„Und wann haben Sie zuletzt von ihm gehört?“
„Ja mei, im Jänner, glaub ich, ist eine Karte von ihm gekommen. Von irgendwo in der Ukraine, wenn ich mich recht erinnere.“
„Sehen S’, Fräulein Čudnow, das war’s schon. Vielen Dank und auf Wiederschau’n.“
Bronstein ignorierte den giftigen Blick der jungen Frau und trat aus der Werkstatt hinaus ins Freie.
Wirklich verdächtig gemacht hat sie sich nicht, dachte er, während er auf die Stadtbahnstation zuhielt. Doch irgendetwas störte ihn am Zeitablauf. Wenn sich der junge Bergmann und die Feigl gegen 10 Uhr getrennt hatten, wie es sowohl der Bergmann als auch der Kellner ausgesagt hatten, dann blieben zwischen der Trennung der beiden und dem Auffinden der Leiche der jungen Feigl kaum mehr als 60 Minuten. Das war eine erstaunlich kurze Spanne. Der alte Bergmann hätte gleichsam den Täter – oder eben die Täterin – buchstäblich nur ums Haar verpasst. Und was, so schoss es Bronstein plötzlich ein, wenn der alte Bergmann selbst der Täter war? Er musste sich eingestehen, an diese Möglichkeit bislang nicht gedacht zu haben. Vielleichtwar nicht nur der junge Knabe eifersüchtig auf den Juniorchef gewesen, sondern auch der Seniorchef? Was wusste er, Bronstein, bislang eigentlich über den alten Herrn? Eine Ehefrau war nicht erwähnt worden, soweit er sich erinnerte.
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