Chuzpe
Bronstein.
„Ich ahne nicht einmal, wer Sie sind“, replizierte Fritz Bergmann lakonisch.
Bronstein ärgerte sich über seinen Anfängerfehler. „Verzeihen Sie, dass ich mich vorzustellen vergaß. Major Bronstein von der Mordkommission. Ich untersuche den Mord an Frau Hannah Feigl.“
„Aha! Und was wollen Sie da von mir?“ Auf den Lippen des jungen Mannes zeigte sich ein arrogantes Lächeln.
„Sie kannten die Dame. Und wahrscheinlich ziemlich gut! Und Sie waren letzte Woche nicht in Ungarn.“
Die Züge des jungen Bergmann verdüsterten sich: „Wie kommen S’ auf so einen Schmarrn? Natürlich war ich in Ungarn, ich …“
„Aber nicht zwischen dem 4. und dem 6. dieses Monats. Da waren Sie in Wien, und da haben Sie sich mit der Feigl getroffen. Jeden Abend, und zwar im Silberwirt. Sie wurden gesehen und wiedererkannt.“
Bergmann, der eben noch aufbrausen wollte, fühlte sich sichtlich ertappt und sackte förmlich hinter seinem Schreibtisch zusammen. „Schließen Sie um Himmels Willen die Tür“, zischte er.
Fritz Bergmann war nun gar nicht mehr der überhebliche Beau, als der er sich eben noch gegeben hatte. Er erhob sich katzengleich aus seinem Sessel, eilte um den Schreibtisch herum, richtete einen Besucherstuhl auf Bronstein aus und bat diesen, Platz zu nehmen. Dann setzte er sich selbst wieder und kam mit seinem Gesicht ganz nahe an jenes von Bronstein heran: „Das muss aber unter uns bleiben, Herr Major. Ich hab so schon genug Schwierigkeiten am Hals. Ich sag Ihnen alles, was Sie wissen müssen, nur versprechen S’ mir, dass Sie’s weder dem Herrn Papa noch der Edith erzählen. Einverstanden?“
Bronstein signalisierte Zustimmung. Es konnte nichts schaden, erst einmal dieses Zugeständnis zu machen, denn es konnte jederzeit widerrufen werden.
„Alsdern, die G’schicht’ is a so: Die Edith ist ein ungemein liebes Mädel. Aber gleichzeitig hat sie so was Ehrgeiziges an sich. Das is ja ned schlecht für normal, aber leider treibt sie mich damit zizerlweis in den Wahnsinn. Andauernd will s’ was. Z’erst will s’ einmal heiraten, dann soll ich schau’n, dassich den Alten loswerd. Ich soll sie da im Betrieb stärker in die Leitung einbauen, ich soll den Betrieb ausweiten, soll neue Erwerbszweige erschließen, und und und. Dauernd fallt ihr was Neues ein. Willst ewig so unwichtig bleiben, sagt sie dann immer, und nörgeln tut’s in einer Tour, dass es manchmal nicht mehr zum Aushalten ist. Ja, bei all ihrer Schönheit, sie kann einem manchmal ziemlich auf den Geist gehen.“
„Aha, und was hat das mit der Feigl zu tun?“
„Sehen S’, das ist genau der Punkt. Die Hannah hab ich zufällig bei einem befreundeten Schneider kennengelernt, und die war so ganz anders als die Edith. Die hat mich vorbehaltlos bewundert und in mir ein halbes Genie gesehen. Die Edith ist manchmal a richtige Xanthippe. Die keift und lasst dabei kein gutes Haar an mir. Und die Hannah, die ist an meinen Lippen gehangen und war von jedem Satz, den ich g’sagt hab, begeistert. Das schmeichelt einem natürlich, und so hab ich mich ein paar Mal mit ihr getroffen.“
„Auch zur fraglichen Zeit?“
Bergmann druckste ein wenig herum. „Ja“, sagte er schließlich, „ich bin wirklich am 1. nach Ungarn g’fahren. Ich hab dort wie vereinbart die Bestellungen aufgegeben, und dann bin ich am 4. heimlich wieder nach Wien g’fahren. Ich hab mich weder bei meinem Vater noch bei der Edith g’meldet, sondern ich bin im Hotel Fuchs auf der Mariahilfer Straße abg’stiegen. Und dann hab ich mich mit der Hannah getroffen. Am 6. bin ich dann mit dem Nachtzug zurück nach Ungarn, von wo ich dann wie ursprünglich geplant wieder heimg’fahren bin.“
„Und dafür, dass Sie am 6. nach Ungarn g’fahren sind, haben Sie Zeugen?“, fragte Bronstein lauernd.
„Ob’s Zeugen gibt, kann ich natürlich nicht sagen, aber ich hab die g’stempelte Fahrkarte noch.“ Bergmann kramte in seinen Unterlagen und fingerte das Ticket hervor. Tatsächlich konnte man darauf erkennen, dass sie am 6. entwertet wordenwar. Wenn Bergmann also abends tatsächlich im Silberwirt gewesen war, und das bestritt er ja nicht, dann musste er den Zug um elf Uhr abends genommen haben, der um fünf Uhr morgens in Budapest eintraf. Bronstein kannte diese Verbindung, weil sie die bequemste war, um in die ungarische Hauptstadt zu gelangen. Man nahm sich einfach ein Schlafwagenabteil, legte sich hin und erwachte am nächsten Morgen frisch und erholt an
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