Chuzpe
auch noch einmal unterhalten müssen. Und natürlich mit dem Juniorchef. Und mit dem Alten sowieso. Es wartete also viel Arbeit auf ihn, befand er, und so beschränkte er sich darauf, dem Sokop für seine Ausführungen zu danken. Er schenkte dem Arbeiter noch eine Zigarette und entließ ihn. Dann wartete er noch einen kleinen Moment, ehe er gleichfalls zu der Werkstatt zurückkehrte, um diesmal dem Chef persönlich seine Aufwartung zu machen. Der alte Bergmann ließ ihn ohne Umschweife in sein Büro und bot ihm Platz an. Der Betriebsbesitzer verschränkte seine Hände und sah den Polizisten erwartungsvoll an.
„Wie Sie sich denken können, geht es immer noch um den Mordfall in der Vorwoche. Wir haben die Ermittlungen im Umfeld des Opfers abgeschlossen und gehen nun weiteren Spuren nach. Das ist die bei uns übliche Routine, die an sich nichts zu bedeuten hat. Wenn ich Ihnen jetzt also einige Fragen stelle, dann bedeutet das nicht, dass wir irgendjemanden in Ihrem Betrieb verdächtigen, diese Fragen dienen vielmehr der Abrundung eines Bildes, welches wir benötigen, um den Täterkreis herausschälen zu können.“
„Das haben Sie jetzt so schön g’sagt, Herr Kommissar, dass ich Ihnen fast glaube“, meinte Bergmann und deutete dabei kurz ein Lächeln an.
Bronstein ging nicht auf die derart vorgebrachte Spitze ein und fuhr unbeirrt fort: „Die Frage, die uns natürlich beschäftigt, ist folgende: Wie kam die Frau Feigl ausgerechnet hierher? Es muss eine Verbindung geben, von der wir bislang noch nichts wissen. Und da die Frau Feigl ja recht jung an Jahren war, vermuten wir, dass sie vielleicht mit einem Ihrer Söhne bekannt war, wenn Sie mir diese Formulierung gestatten. Nun wissen wir, dass einer Ihrer Söhne im Feld steht und der andere zur Tatzeit in Ungarn war. Das heißt aber nicht, dass die Frau Feigl, dies vielleicht nicht wissend, nicht versucht haben könnte, einen der beiden aufzusuchen. Wir …“
„Schauen Sie, Herr Kommissar, das ist jetzt ned sehr logisch, ned wahr. Der Wilhelm ist seit 1916 beim Barras, und des wird sich ja wohl weitschweifig herumgesprochen haben. Wenn S’ also glauben, dass diese … diese … Person einen meiner Söhne gesucht hat, dann kann es sich nur um den Fritz handeln, und der war, wie Sie ja selbst schon festgestellt haben, in Ungarn.“
„Das ist mir bewusst. Aber es könnte durchaus sein, dass die Frau Feigl den Herrn Fritz aufsuchen wollte und stattdessen in die Arme ihres Mörders gelaufen ist.“
Bergmann deutete durch das Hochziehen seiner Augenbrauen ein „Aha“ an und gab damit zu verstehen, er habe verstanden, worauf Bronstein hinauswollte. „Bitte schön, das wäre immerhin möglich“, konzedierte er, „aber wer sollte das Mädl überhaupt hereingelassen haben, und vor allem, wer sollte ein Motiv haben, es umzubringen? Noch dazu auf so grausliche Weise?“
Bronstein fixierte Bergmann kurz und beschloss, einmal auf den Busch zu klopfen: „Stimmt es eigentlich, dass der Herr Fritz mit der Frau Čudnow näher bekannt ist?“
Bergmann tat erstaunt: „Sie meinen jetzt aber nicht ernsthaft, dass die Edith …? Ich bitt Sie, das ist absurd. Die kann nicht einmal einer Fliege was zuleide tun, geschweige denn einem Menschen!“
„Da haben Sie vielleicht recht. Aber sind die beiden nun ein Paar oder nicht?“
„Na ja, so mehr oder weniger. Der Fritz hat einen ziemlichen Narren an ihr gefressen, aber ich sehe das, ehrlich gesagt, nicht so gerne, weil, seien wir ehrlich, die Čudnow ist doch keine Partie für einen zukünftigen Firmenchef. So nett sie auch ist, die Edith, verstehen Sie mich nicht falsch, aber als Schwiegertochter sehe ich sie nicht gerade.“
Bronstein kam zu dem Schluss, dass er hier kaum etwas Relevantes erfahren würde. Er musste sich direkt an die jungen Leute wenden. „Ist Ihr Sohn im Augenblick eigentlich zugegen?“
Bergmann nickte: „Sein Büro ist am Ende des Ganges. Nicht zu verfehlen. Gehen S’ nur hin.“
Bronstein nickte kurz, erhob sich und ging in die gewiesene Richtung. Er klopfte an die genannte Tür und hörte ein schneidiges „Herein!“. Als Bronstein die Tür öffnete, prallte er zurück. Vor ihm saß ein junger Mann, auf den die Beschreibung des Kellners vom Silberwirt exakt zutraf. Der Bart, der teure Anzug, das stutzerhafte Wesen, es konnte kein Zweifel bestehen. Hinter diesem Schreibtisch saß jene Person, die mit der Feigl mehrmals ausgegangen war.
„Sie ahnen, warum ich Sie sprechen will?“, begann
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