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Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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Vielleicht war er verwitwet, und es verbitterte ihn, dass sein Sohn nicht nur eine Ehefrau und eine Geliebte besaß, sondern sich am Ende sogar noch eine zweite Geliebte zulegte. Konnte es sein, dass auch der alte Bergmann mit besagtem Schneider bekannt war und daher auch er um die Existenz der Feigl gewusst hatte? Vielleicht hatte ihn auf seine alten Tage der Hafer gestochen und er wollte, was sein Sohn dann offensichtlich bekommen hatte. Bronstein überlegte, ob er noch einmal umkehren und den alten Bergmann nochmals befragen sollte. Aber schließlich erschien ihm diese Vermutung doch zu weit hergeholt, um sie ernsthaft in Betracht zu ziehen. Der Alte war kaum viel größer, als es die Feigl gewesen war, und er wirkte alles andere als kräftig. Wäre er auf die Feigl losgegangen, sie hätte sich fraglos gewehrt und dabei wohl auch eine reelle Chance gehabt, ihrem Schicksal zu entgehen. Genau dieser Umstand sprach auch gegen die Čudnow, auch die war nicht gerade ein Athlet. Und wenn es doch der Fritz gewesen war?
    Während Bronstein auf die Stadtbahn wartete, entwarf er für sich ein neues Szenario. Fritz Bergmann lernt die Feigl kennen. Er ist davon angetan, dass sie ihn anhimmelt und vergöttert. Das macht ihn schwach. Die Feigl ist genau die Art Frau, die Bergmann mag. Doch die Feigl hat einen Nachteil: Sie ist prüde. Wie schon bei ihrem Favoritner Galan will sie auch beim Bergmann nichts von körperlicher Liebe wissen. Das bringt Bergmann noch nicht aus der Fassung. Er denkt sich, solche wie die Feigl gibt es an jeder Ecke, und er trifft sich noch einmal mit ihr, um ihr den Laufpass zu geben. Aber der Feigl schmeckt das nicht, und sie droht Bergmann damit, in der Firma über seine Eskapaden wortreich Klage zu führen. Nunbekommt Bergmann Angst. Er verspricht ihr, sein Privatleben für sie in Ordnung zu bringen und danach nur noch für sie da zu sein, womit sie sich vorerst zufriedengibt. In Wirklichkeit aber schleicht er ihr nach, erwürgt sie und fährt dann alibihalber zurück nach Ungarn.
    Endlich fuhr der Zug ein, und Bronstein enterte einen Waggon. Er ließ sich auf einer Holzbank nieder und ging, während er sich eine Zigarette anzündete, sein Gedankengebäude noch einmal durch.
    Blödsinn! Diese Theorie war einfach schwachsinnig. Die beiden kannten sich bestenfalls eine Woche, da wird man weder einer Person überdrüssig, noch beginnt man gar, Mordpläne zu schmieden und umzusetzen. Außerdem hatte der Kellner vom Silberwirt mit keinem Wort einen Streit zwischen den beiden erwähnt. Vielmehr schienen sie in bestem Einvernehmen zu sein. Außerdem hatten sie an jenem Mittwoch das Lokal gegen 22 Uhr verlassen. Bis zum Betrieb brauchte man etwa fünf bis zehn Minuten. Selbst wenn er sie sofort erwürgt hätte, war es schon viertel elf gewesen, bis er die Redergasse wieder hätte verlassen können. Und auch wenn er dann gelaufen wäre, hätte er frühestens wieder um zwanzig nach zehn am Margaretenplatz sein können. Und es war mehr als fraglich, dass dort um diese Zeit eine Mietdroschke parat stand. Anders aber wäre es dem Bergmann nie gelungen, rechtzeitig am Bahnhof zu sein, um den Zug nach Ungarn zu erreichen. Außerdem wäre es schon selten dämlich, die eigene Geliebte im eigenen Betrieb zu meucheln. Es wäre sinnvoller gewesen, mit ihr in ihre Wohnung zu gehen und sie dort zu ermorden. Nein, dachte Bronstein, auch der Fritz Bergmann kam für die Tat eigentlich nicht in Frage.
    Es sei denn, die beiden hatten sich zwischenzeitlich doch besser kennengelernt. Vielleicht war er zwar am 1. nach Ungarn gefahren, aber noch am selben Tag wieder nach Wien zurückgekommen. Dann hätten die beiden das ganze Wochenende beiihr verbringen können, und möglicherweise auch die beiden Tage danach. So gesehen erschien es nicht unvernünftig, Bergmanns Alibi zu überprüfen. Hatte er wirklich am 4. im „Hotel Fuchs“ ein Zimmer bezogen? Und wenn ja, hatte er es auch bewohnt? Dieser Frage galt es nachzugehen, beschloss er.
    In Bronstein meldete sich hartnäckiges Hungergefühl. Kein Wunder, attestierte er sich, es war 14 Uhr, und er hatte seit dem frühen Morgen nichts mehr zu sich genommen. Er kam zu dem Schluss, auf dem Weg ins Amt noch nach einem Lokal Ausschau zu halten, wo er sich stärken konnte, ehe er sich wieder dem Papierkram widmete. Er stieg am Schottenring aus und kehrte an die Oberfläche zurück. Nur ein wenig von der Station entfernt, am Rudolfsplatz, gab es ein gutbürgerliches Lokal, wo sich auch in

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