Chuzpe
sacht zu wecken.
„Wie geht es ihm?“, fragte sie, ehe sie noch das Frühstück wahrgenommen hatte.
Bronstein sah seinen Vater an, doch vermochte er die Lage nicht einzuschätzen. „Ich weiß nicht“, sagte er daher, „vielleicht sollten wir erst einmal das Fieber messen.“
Die Mutter quälte sich umständlich aus dem Bett: „Ich mach das schon. Und dann mache ich uns ein Frühstück.“
Bronstein deutete auf die Tasse Tee, die er mit dem Brot am Nachttisch abgestellt hatte. Wiederum lächelte die Mutter dankbar „Und was nimmst du?“
„Das Übliche. Kaffee und Zigaretten.“
„Ich weiß gar nicht, ob wir noch Kaffee im Haus haben“, gab die Mutter zu bedenken. Doch Bronstein nickte nur: „Ich habe die Zichorie schon gefunden. Glaub mir, das genügt vollauf. Kümmere du dich nur um Papa.“
Bronstein setzte sich wieder an den Küchentisch und rauchte eine weitere Zigarette. Der Kaffee war objektiv absolut ungenießbar, aber angesichts des allgemeinen Mangels musste man sich, wie es so schön hieß, nach der Decke strecken. Plötzlich stürzte die Mutter in die Küche: „39,4! Und das schon am Morgen! Ich mache mir wirklich Sorgen.“
„Du musst ihm helfen, das Zeug rauszuschwitzen“, erklärte Bronstein. „Zieh ihm das Nachtgewand aus und reib ihn mit einem feuchten Tuch sauber. Dann steck ihn in das dicksteGewand, das du auftreiben kannst. Wechsle die Bettwäsche, und dann hilft nur noch Beten. Das Fieber darf auf keinen Fall höher steigen, sonst wird es wirklich gefährlich. Flöße ihm genug Tee ein und gib ihm mittags und abends noch etwas von der Hühnersuppe.“
Die Mutter nickte schwach. Bronstein trat auf sie zu und nahm sie in den Arm: „Ach, Mama, das wird schon. Glaub mir. Ich bringe die Bösewichter dieser Stadt zur Strecke, und du legst derweil dieser Krankheit das Handwerk, einverstanden?“
Im Blick der Mutter konnte er deutlich lesen, wie sehr sie den Worten ihres Sohnes Glauben schenken wollte, und er fühlte sich unwohl, denn er musste sich eingestehen, dass er die Dinge bei weitem nicht so optimistisch sah, wie er es eben zum Ausdruck gebracht hatte. Verlegen wandte er sich ab und griff nach seinen Zigaretten: „Ich muss jetzt leider ins Kommissariat wegen einer wichtigen Mordsache. Aber ich sehe zu, dass ich am Nachmittag noch einmal vorbeischauen kann, in Ordnung?“
Er wartete die Reaktion der Mutter nicht ab und sah zu, dass er zur Tür kam. Er eilte die Treppe hinunter und trat auf die Straße. Der Morgenfrost nahm ihm den Atem. Er stellte den Mantelkragen hoch und vergrub seine Hände in den Taschen. Mit schnellen Schritten wandte er sich nach rechts und hielt auf die Wiedner Hauptstraße zu. Diese ging er sodann eine Weile stadtauswärts, ehe er in die Klagbaumgasse einbog. Nach einigen Minuten hatte er die Margaretenstraße erreicht, die er querte, um in die Franzensgasse zu gelangen. Hundert Meter weiter bog er nach links ein und ging nun wieder stadtauswärts, bis er schließlich das Bezirkskommissariat erreichte.
„Guten Morgen, die Herren“, sagte er laut und vernehmlich, „Major Bronstein von der Mordkommission. Ich bin wegen der Feigl-Sache hier. Wer ist der zuständige Kollege?“
Ein stoppelbärtiger Uniformträger hing in schlaffer Haltung auf seinem Sessel und sah offensichtlich keine Veranlassung,Haltung anzunehmen. Er erwiderte den Gruß nicht und kratzte sich stattdessen am Kinn. „Na anscheinend Sie“, sagte er dann, „weil sonst wären S’ ja nicht da.“
„Ich hab schon mehr gelacht. Wer hat die Sache aufgenommen? Ich will mit dem betreffenden Kollegen reden.“ „Der is ned do.“
Bronstein spürte eine gewisse Ungehaltenheit in sich aufsteigen. Mühsam beherrschte er sich: „Ist hier in diesem wunderschönen Kommissariat irgendwer auskunftsfähig?“
„Sicher.“
„Dann her mit dem Mann!“, brüllte Bronstein endlich los. Der Uniformierte richtete sich auf: „Nur ka jüdische Hast. Davon wird des Madl a nimmer lebendig.“
Blitzschnell war Bronstein an den Polizisten herangetreten. Er schnappte die Rockaufschläge der Uniform und riss den Mann hoch: „Jetzt pass amoi auf, du Pfeifenstierer. I bin a Major, und du a klaner Revi. Oiso provozier mi ned, sunst vergiss i mi. Host mi?“
Der Ordnungshüter machte eine begütigende Geste mit der rechten Hand: „Is schon guat, Herr Major. I bin eh scho unterwegs.“ Dann sah er auf Bronsteins Hände. Dieser ließ den Mann los, und der verschwand daraufhin in einem Nebenraum.
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