Chuzpe
„Herst Horstl, da is so a Itzig, der sogt, er is vom Mord. Er is wegen dem Mensch do, des wos s’ in da Redergossn okragelt hom.“
Die zischende Antwort des „Horstl“ konnte Bronstein nicht verstehen, doch gleich darauf trat der Postenkommandant in die Stube: „Herr Major, einen guten Morgen, ich muss mich für das ungehobelte Verhalten des Kollegen Singer entschuldigen. Drei Nachtdienste in Folge. Ich fürchte, der Mann braucht dringend Ruhe.“ Mit diesen Worten funkelte der Kommandant Singer böse an. Dieser hielt dem Blick stand und meinte lakonisch: „Eh!“
„Die Anzeige selbst“, fuhr der Kommandant fort, „hat der Kollege Kratochvil aufgenommen, doch der ist leider im Krankenstand. Ich fürchte, ihn hat die Grippe erwischt. Aber ich bin mit der Sache auch ganz gut vertraut. Ich hoffe also, ich kann Ihnen auch behilflich sein.“
„Sehr freundlich von Ihnen, Kollege …“
„Pichler.“
„Sehr freundlich, Kollege Pichler.“
„Kommen S’ nur weiter, Herr Major. Was wollen Sie wissen?“
Pichler führte Bronstein in sein Büro und bot ihm einen Platz an. Singer wies er an, die Akte Feigl sofort in sein Amtszimmer zu bringen. Dann sah er wieder Bronstein an: „Wollen S’ vielleicht einen Tee? Oder Kaffee? Wir haben zwar nur Ziguri, aber besser wie nix, wie wir immer sagen. Obwohl, haben S’ schon einmal Eicheln probiert? Des schmeckt gar ned amoi so schlecht. Weil ehrlich, an diese Zichorien werd i mi, glaub i, nie g’wöhnen.“
Bronstein winkte ab: „Na, na, passt schon. Ich hab grad g’frühstückt.“
Die beiden warteten, bis Singer den Akt gebracht hatte.
„Ich habe gestern Ihren Bericht gelesen“, griff Bronstein das Gespräch wieder auf, „und da blieben für mich doch einige Fragen offen.“
„A so? Welche denn?“
„Nun, zuerst einmal der Fundort der Leiche. Was ist über den zu sagen?“
„A Tapeziererei. Bergmann & Söhne. Recht angesehener Betrieb da im Bezirk. Wir haben den alten Bergmann natürlich einvernommen, aber der hat sich auch nicht erklären können, wie die Frau in seinen Betrieb gekommen ist. Wir haben dann den Verdacht gehegt, sie könnte ein Gspusi mit einem von den Buben gehabt haben, aber der jüngere ist noch an der Front, und der ältere ist nachweislich seit 1. November im Ungarischen, Stoff kaufen. Des haben mehrere Angestellte bestätigt.“
„Wie viele Angestellte hat der Bergmann denn?“
„Fünf. Zwei Tapezierer, drei Polsterer. Dann gibt’s noch zwei Näherinnen. Die Personalien haben wir alle.“
„Das heißt, niemand hat gesehen, wie sie dort hingekommen ist? Und von den fünf Arbeitern kommt auch niemand in Frage? Vielleicht hat sie ja mit einem von denen getändelt?“
„Nein, sicher nicht. Die sind alle steinalt. Der Jüngste ist …, Moment …, 44. Und nein, um 20 Uhr ist die Werkstatt zugesperrt worden, übrigens von einer Näherin … der, Moment, ich hab’s gleich …, der Edithe Čudnow, und unmittelbar davor hat der alte Bergmann noch einen Kontrollgang gemacht.“
„Das war am 5.?“
„Genau. Der Bergmann …“
„Und wieso wurde die dann erst am 6. am Abend gefunden?“
„Das wollte ich gerade erklären. Der Bergmann hat seinen Arbeitern für den 6. freigegeben, weil es weder Aufträge noch Stoffe gegeben hat, sodass er nicht produzieren konnte. Deswegen ist der Sohn ja ins Ungarische gefahren.“
„Aha. Und was geschah dann weiter?“
Pichler blätterte wieder kurz in seinen Unterlagen. „Am Sechsten ist der Bergmann in die Werkstatt gegangen, weil er Kerzen holen wollte. Es gab ja schon wieder einen Stromausfall, wenn Sie sich noch daran erinnern. Also ist er ins Lager gegangen, und mitten in der Verbindungstür ist sie gelegen. Der Bergmann hat ausgesagt, er ist sofort zu uns rübergelaufen – weit ist es ja nicht von dort – und hat uns alarmiert. Der Revierinspektor Kratochvil ist mit ihm hinüber, und der hat dann die ganze Sache protokolliert.“
„Wer hat aller einen Schlüssel für die Werkstatt?“
Wieder musste Pichler seine Aufzeichnungen konsultieren: „Der Chef, sein Sohn und diese Näherin, die Čudnow. Die ist so etwas wie die Vorarbeiterin dort.“
„Das heißt, die fünf Arbeiter und die zweite Näherin hätten sich nur gewaltsam Zutritt zu der Werkstatt verschaffen können?“
„Sieht ganz so aus.“
Bronstein ließ ein vernehmliches „Hmm“ aus seinem Munde. Er lehnte sich zurück und versuchte sich die Sache vorzustellen, um die Fakten so besser einordnen zu
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