Chuzpe
dieses Mannes geben?“
Pokorny nickte. „Es handelte sich fraglos um einen Soldaten oder zumindest um eine Person, die soldatisch gekleidet war. Der Mann trug, so meinte Frau Spitzer, Armeestiefel und einen Militärmantel. Letzteren allerdings ohne Distinktionen, wie ihr, so meinte sie mir gegenüber, sofort aufgefallen sei, denn nach einem langen Leben an der Seite eines Offiziers entwickle man ein Auge für derartige Details.“
Bronstein entwickelte eine gewisse Ungeduld: „Und weiter? War der Mann jung oder alt, trug er einen Bart, hatte er irgendwelche Charakteristika? Sprach er hierorts übliches Deutsch oder hatte er einen Akzent? Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen, Pokorny.“
Doch Pokorny konnte auf diese Fragen kaum antworten: „Sie sagte, er habe eine Militärmütze getragen, die er tief ins Gesicht gezogen hatte, sodass sie nicht sagen könne, ob der Mann schwarzes oder blondes, ja ob er überhaupt Haar habe. Er hatte definitiv keinen Bart und war altersmäßig eigentlich nicht zu schätzen. Zwischen Ende zwanzig und Ende vierzig sei alles möglich, so erklärte mir die Spitzer. Und persönlich gehört habe sie nur, wie der Mann ihren Gatten angesprochen habe, und aus der Nennung des Namens habe sie nicht ableiten können, ob der Mann nun Wiener, Österreicher oder Ausländer gewesen sei.“
Bronstein blies Luft aus: „Na gratuliere. Da können wir suchen, bis wir schwarz werden. Die Beschreibung passt wahrscheinlich auf neunzig Prozent der Leut’, die derzeit mit einem Armeeg’wandl herumrennen. Da findet man eher die Nadel im Heuhaufen. Na ja, wie auch immer, das ist dein Fall, Pokorny.Mach, was du für richtig hältst, aber informier mich regelmäßig, gell!“
„Na sowieso, Major, des ist eh klar.“ Pokorny machte eine kleine Pause, ehe er fortfuhr: „Und wie geht’s mit der Leich von der Redergasse voran?“
Bronstein erzählte Pokorny in groben Zügen, was er bislang unternommen hatte, unterließ es jedoch, persönliche Schlussfolgerungen zu ziehen. Dafür war es ihm noch entschieden zu früh. Zwar würde er mit dem Herrn Nemec reden und musste unbedingt den Galan der Feigl ausfindig machen, doch insgeheim war er überzeugt, dass beide ebenso wenig als Täter in Frage kamen wie der Vater selbst. Es musste andere Zusammenhänge geben, die sich bis jetzt einfach noch nicht offenbart hatten, weshalb es sie zu finden galt. Und in diesem Lichte konnte es auch nicht verfehlt sein, sich einmal mit den Arbeitern der Tapeziererei zu unterhalten. Dort war die Leiche gefunden worden, dort musste es ergo auch Spuren geben. „Na ja, a ka g’mahte Wies’n“, hörte er Pokorny sagen.
„Richtig“, pflichtete er seinem Kollegen bei, „und deshalb ist klar, was wir jetzt als Nächstes machen werden.“
Pokorny machte ein erstauntes Gesicht: „So? Was denn?“
„Wochenende!“
„Major, du bist ein Engel. I hab eh no so viel zum Tun. I muss schau’n, wo i a Kohle auftreib und was zum Essen, sonst verkommen s’ ma daheim. Und du weißt eh, wie’s is zurzeit. Da braucht man viel Geduld und Spucke.“
„Ja, i weiß eh. Darum, Pokorny, schönes Wochenende, und Gott befohlen!“
Pokorny ließ sich das nicht zweimal sagen. Er nickte dem Vorgesetzten devot zu, wünschte ihm gleichfalls schöne Tage und sah zu, dass er aus dem Amtszimmer kam. Bronstein seufzte kurz auf und begann dann, die wesentlichen Erkenntnisse zum Fall Feigl zu Papier zu bringen, und die so entstandenen Unterlagen anschließend dem schon am Vortag angelegten Akt beizulegen.
Bronstein blickte auf die Uhr. Es war knapp nach halb fünf. Bis zu seinem Treffen mit Jelka hatte er also noch rund dreieinhalb Stunden Zeit. Wenn er auch bedenken musste, dass er alle Wege würde zu Fuß zurücklegen müssen, so hatte er dennoch einen gewissen Handlungsspielraum. Er kam zu dem Schluss, dass es ihm trotz der Kälte bei Jelka nicht schaden konnte, wenn er sich wieder einmal ordentlich wusch. Dazu allerdings, wie in den vier Jahren seit seiner Eröffnung üblich, ins Jörgerbad zu gehen, war organisatorisch unter den gegebenen Umständen unmöglich. Allerdings, so fiel ihm ein, gab es am Einsiedlerplatz in Margareten auch ein Tröpferlbad. In dessen Nähe befand sich zudem eine für die Qualität der dort feilgebotenen Heilmittel in der ganzen Monarchie berühmte Apotheke, bei der er, ehe er seine Eltern neuerlich aufsuchte, Nachschau halten konnte, ob es nicht irgendwelche Medikamente für seinen Vater gab. Gedacht, getan.
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