Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
Vom Netzwerk:
höchsteigener Person. Wenn man im komplizierten politischen Gebäude des Deutschen Reiches einen Stein herausnahm, dann mochte die ganze Konstruktion in sich zusammenbrechen und Kaiser Wilhelm II. mitreißen. In Österreich war dies unmöglich, hier regierte Habsburg, und eine Alternative dazu gab es nicht.
    Andererseits verlor der Kaiser zwar nicht seine Hüte und Kronen, aber er verlor seine Domänen, und so gesehen stellte sich sehr wohl die Frage, ob es einen Kaiser von Österreich geben konnte, wenn dieser nicht mehr König von Böhmen oder von Galizien und Lodomerien war. Keine Frage, beide Reiche standen vor entscheidenden Tagen, und was noch vor einem halben Jahrzehnt als unüberwindlich galt, konnte nun nur allzu schnell der Vergangenheit anheimfallen.
    Bronstein hätte gern länger über diese Fragen nachgegrübelt, doch er musste sich nun wieder auf seine Arbeit konzentrieren. Er sah auf die Uhr und beschloss, nun auch noch die Polsterei in Augenschein zu nehmen. Beim Wirt erkundigte er sich,wie er am schnellsten in die Redergasse kam, und keine zehn Minuten später stand er vor dem Tor der Firma Bergmann. Ein Arbeiter wies Bronstein den Weg zum Büro des alten Bergmann. Dessen Befragung ergab kaum neue Anhaltspunkte. Der Mann schildete die Dinge ziemlich genau so, wie sie in Pichlers Bericht festgehalten worden waren.
    „Und Sie haben also rein gar nichts gesehen?“, fragte Bronstein schließlich.
    „Schauen S’, Herr Rat, Sie dürfen sich von mir nichts erwarten. I bin alt. I siech scho schlecht. Und wann i was siech, dann siech i G’spenster. I hab mir sogar einbildet, i siech mein Buam. Was aber a kompletter Holler is, weil der ja im Krieg ist. Wissen S’, Herr Rat, er geht ma so ab, dass i eam immer wieder wo siech.“
    Bronstein verwirrte diese Rede. „Was meinen S’ jetzt genau?“
    „Na, wie i einegangen bin, um die Kerzen zu holen, da war mir, als stangert der Willi hinten im Eck. Wissen S’, der Willi war immer schon mein Sorgenkind. Der ist ned so patent wie der Fritz. Der is mehr so a ... na, a bissl schwindlig ist er halt, der arme Willi. Aber beim Barras, da werden S’ ihm schon die Wadeln vireg’richt’ haben.“ Bergman verfiel in brütendes Schweigen.
    „Also nix ham S’ g’seh’n“, resümierte Bronstein schließlich.
    „Na. Nur die Leich. Das hat ma g’reicht.“
    Na bitte, dachte sich Bronstein. Jetzt bin ich so klug als wie zuvor. Er verabschiedete sich von Bergmann und trat wieder auf die Straße. Die Tageszeit bedeutete ihm, dass er sich doch noch im Büro würde blicken lassen müssen. Er spürte einen leisen Groll in sich aufsteigen, denn er wusste, es galt schon wieder zu Fuß zu gehen. Innerlich verfluchte er die grässliche Lage, denn allein in den letzten 24 Stunden hatte er sicherlich 20 Kilometer zurückgelegt, und dabei war er noch nicht einmal nach Hause gegangen. Das war in der Tat ein Punkt, der fürMargareten sprechen würde, kam Bronstein auf seinen vorherigen Gedanken zurück. Unwillkürlich fiel ihm der majestätische Margaretenhof ein, der weithin berühmt war für seine großen, hellen Wohnungen in ruhiger Lage. Doch genau deshalb würde er sich eine solche Bleibe erst dann leisten können, wenn er Polizeipräsident war. Andererseits war der Margaretenhof nun auch schon über 30 Jahre alt, vielleicht bekam man einige Objekte dort nun schon zu etwas günstigeren Konditionen.
    Aber wenn er ehrlich war, dann tat er Dornbach unrecht! Sicher, im Winter war dieser Teil Wiens nicht gerade der geeignetste Ort zum Verweilen, doch im Sommer konnte sich Margareten mit Dornbach nicht messen. Allein schon die malerischen Weinberge und die anheimelnden Wanderwege hinauf auf den Dreimarkstein, derlei konnte Margareten nicht bieten. Außerdem, so erinnerte er sich, war Dornbach sogar älter als Margareten, auch wenn man es nicht für möglich halten würde. Er hatte einmal gelesen, dass Dornbach bereits 1044 erstmals urkundlich erwähnt worden war, rund 100 Jahre bevor dies beim fünften Bezirk der Fall gewesen war. Bronstein wurde direkt ein wenig sentimental. Er erinnerte sich daran, wie es gewesen war, als er 1907 in den 17. Bezirk gezogen war. Vorübergehend hatte er einige Tage in der Kalvarienberggasse Quartier genommen, bis seine Wohnung in der Dornbacher Straße bezugsfertig war. Just zu dieser Zeit war die Als zum letzten Mal über ihre Ufer getreten und hatte den ganzen Elterleinplatz unter Wasser gesetzt. Der 43er mutierte für Tage zur Fähre. Und

Weitere Kostenlose Bücher