Chuzpe
Bronstein löschte die Kerzen aus und verließ das Büro. Am Beginn der Herrengasse stand einsam und allein eine der neumodischen Motorkutschen, die gegen Geld zu mieten waren. Bronstein trat an den Fahrer heran und fragte ihn, wie viel es wohl kosten würde, wenn er sich zum Einsiedlerplatz fahren lassen wollte. Der Fahrer nannte einen unverschämt hohen Preis. Doch Geld, so gestand sich Bronstein ein, war im Augenblick das Einzige, woran er keinen Mangel hatte. Er griff in sein Portemonnaie und reichte dem Chauffeur die gewünschte Summe. Danach machte er es sich im Fond des Wagens bequem und freute sich darüber, Punkt fünf Uhr vor dem Bad vorzufahren. Angesichts der Temperaturen gehörte ihm die Anstalt mehr oder weniger allein, und schon die dampfende, wohlige Wärme, die aus dem Badebereich in die Vorhalle drang, ließ seine Stimmung merklich besser werden. Für ein paar Heller, so erfuhr er an derKasse, würde er ein Handtuch, ein Stück Seife und eine Badeschürze ausgefolgt bekommen, könnte seine Kleidung in einem Kästchen unterbringen und sich anschließend dreißig Minuten lang warm duschen. Für den vierfachen Preis allerdings bekäme er eine eigene Kabine zugewiesen, in deren Mitte eine Wanne stand, in der er sich sodann eine ganze Stunde lang aufhalten konnte, wobei es ihm selbst oblag, die Temperatur des Badewassers zu regulieren. Bronstein gelangte zu der Ansicht, dass es nach dem Vermögen, welches er für die Motorkutsche ausgegeben hatte, auch hier des Sparens nicht mehr bedurfte, und entschied sich für das Wannenbad. Der alte Mann an der Kasse folgte ihm ein Ticket aus und klingelte nach einem jungen Knaben, der Bronstein sodann zu seiner Kabine brachte. Während Bronstein den Mantel auszog und sich anschickte, Jackett und Gilet abzulegen, sorgte der Knabe dafür, dass die Wanne mit Wasser gefüllt wurde. An ihrem Rand hing ein kleines Thermometer, welches die Wassertemperatur maß. Bronstein setzte sich auf die Pritsche und wartete, bis der Junge alles vorbereitet hatte. Er drückte ihm ein paar Heller in die Hand, sperrte dann die Tür ab und kleidete sich vollständig aus. Er prüfte die Wärme des Wassers zuerst mit der Hand, dann mit den Zehen und kam zu dem Schluss, er konnte es riskieren, seinen Körper in die Wanne zu verfügen. Kaum war er in dem Emailbehältnis zum Liegen gekommen, spürte er bereits, wie seine müden Knochen die Wärme annahmen und sein Körper sich zu entspannen begann. Bronstein schloss die Augen und genoss es, erstmals an diesem Tag an nichts denken zu müssen. Erst nach einer guten Weile griff er zum Badeschwamm und begann sich einzuseifen.
Als er nach einer halben Stunde wieder aus der Wanne stieg, kam er nicht umhin zu konstatieren, dass er sich rundum wohlfühlte, und lobte sich selbst für den guten Einfall. Bei seinen Eltern würde er sich noch schnell rasieren, womitgarantiert wäre, dass er sich Jelka von seiner besten Seite zeigen konnte.
Zufrieden einen alten Gassenhauer pfeifend, verließ er das Bad und stapfte in Richtung Mariahilf, um auf der Schönbrunner Straße das Haus Nummer 109 aufzusuchen. Die Familie Trnkoczy war weithin für ihre Hausmittel berühmt, und so mochte sich in der Franciscus-Apotheke auch etwas finden, das dem Vater von Nutzen sein konnte. Hoffnungsfroh betrat er den Verkaufsraum und wartete darauf, bedient zu werden. Nach wenigen Augenblicken wurde er nach seinem Begehr gefragt. In kurzen Worten schilderte er sein Problem. Die Apothekerin zeigte sich skeptisch: „Des wird a echte Grippe sein, fürcht ich, da werden wir nicht viel machen können.“
„Aber vielleicht haben Sie etwas, das unterstützend wirken könnte“, hielt Bronstein seine Hoffnung am Leben.
„Na ja“, sagte die Frau schließlich, „da haben wir vielleicht wirklich etwas. Aber erwarten Sie sich bloß keine Wunder davon. Der Spitzwegerichextraktsaft da“, meinte sie und griff nach hinten, um von einem Regal eine Flasche herunterzunehmen, die sie Bronstein sodann vor die Nase hielt, „der bekämpft die Begleiterscheinungen der Grippe recht gut und hilft dadurch dem Körper, sich besser gegen die eigentliche Krankheit zu wehren. Er wirkt hustenstillend, schleimlösend und reizmildernd. Außerdem regt er den Appetit an, und das ist bei Kranken ja auch besonders wichtig, weil man ja bei Kräften bleiben beziehungsweise zu Kräften kommen muss. Und die Einreibung da“, und damit holte sie eine weitere Tinktur hervor, „ist schmerzstillend und hilft
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