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Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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untertan war, konnte als wahrlich groß bezeichnet werden. Und damit sollte auf einmal Schluss sein? Was würde dann werden? Aus der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien? Aus Österreich? Aus ihm?
    Es war ihm unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen. Er musste im „Herrenhof“ jemanden treffen, mit dem er über diese Neuigkeiten reden konnte. Und so überquerte er nun erstaunlich eilig den Michaelerplatz und stürzte förmlich in sein Stammcafé. Zu seiner großen Freude erkannte er just an jenem Tisch, an dem er am Vortag noch mit Jelka gesessen war, Kisch, der in ein Gespräch vertieft war. „Egonek“, rief er schon von Weitem, „hast schon g’hört? Deutschland ist Republik.“
    Kisch winkte ab: „Natürlich weiß ich das. Ich weiß alles! Du auch?“
    Bronstein schüttelte den Kopf: „Nein, ich hab’s gerade gelesen.“
    „Na, dann setz dich zu uns. Ich werd dir alles berichten.“ Bronstein tat, wie ihm geheißen, und Kisch fuhr fort: „Die Reichsregierung hat dem Kaiser ein Ultimatum gestellt. Er müsse bis heute abdanken. Das konnte sie tun, weil die Reichswehr nicht mehr hinter Wilhelm stand. Der Kaiser, der aus Angst vor Unruhen durch die Berliner Arbeiterschaft nach Spa gereist ist, hat sich aber geweigert, eine Abdankungsurkunde zu unterzeichnen. Daraufhin hat der Reichskanzler auf eigene Faust gehandelt.“
    Bronstein war sprachlos: „Was? Der hat das nur behauptet?“
    „Genau, er hat den Kaiser gar nicht mehr gefragt“, präzisierte Kisch.
    Ja war denn das die Möglichkeit! Wer hätte gedacht, dass ein dem Kaiser persönlich verantwortlicher Minister einfach hergehen und den Kaiser in Pension schicken konnte? Das waren wirklich stürmische Zeiten! Denn eigentlich konnte ein solches Verhalten nur als Hochverrat gewertet werden. Aber es sprach wohl Bände über den Zustand des Deutschen Reiches, wenn ein solch ungeheuerlicher Schritt nicht nur ohne Folgen für den Kanzler blieb, sondern von der Bevölkerung auch nochohne die geringste Empörung zur Kenntnis genommen wurde. Kisch fuhr indessen fort: „Und das hat man den Spitzen von der SPD, die im Reichsrat beim Mittagessen saßen, hinterbracht. Und daraufhin ist der Scheidemann aufgesprungen, hat das nächstbeste Fenster aufgerissen und den Arbeitern, die vor dem Parlament versammelt waren, zugerufen, Deutschland sei ab sofort Republik. Die hätten mit großem Jubel reagiert, woraufhin Scheidemann wieder zurück an seinen Mittagstisch ging, um weiter sein Souper einzunehmen.“
    „Und die Armee, die Verwaltung, die Staatsorgane? Die nehmen das einfach so hin?“
    „Glaub mir, David, die haben den Krieg genauso satt wie die Arbeiter. Und sie wissen genau, wer für die verheerende Lage verantwortlich ist. An der Abdankung des Kaisers führte kein Weg mehr vorbei. Und die Monarchie ist so zutiefst diskreditiert, dass ein erfolgversprechender Neuanfang nur mit einer anderen Staatsform möglich ist. Ob die SPDler allerdings dafür die Richtigen sind, das wird sich erst noch weisen.“
    „Und stimmt das, dass Ebert jetzt Präsident ist.?“
    „Anscheinend ja. Man stelle sich vor: dieser bornierte kleine Spießbürger! Der Bebel muss sich im Grab umdrehen!“
    „Na, aber wenn das in Deutschland so leicht geht, wer sagt uns dann, dass das nicht hier auch passiert?“, zeigte sich Bronstein besorgt.
    „Niemand“, entgegnete Kisch lächelnd, „weil es genau so passieren wird. Wenn nicht morgen, dann übermorgen. Du wirst schon sehen.“
    „Du, da hört sich der Spaß aber auf!“, meinte der Major entrüstet, „Österreich war von Anbeginn an eine Monarchie, ob unter den Babenbergern, unter Ottokar oder unter den Habsburgern. Mehr noch, Habsburg ist Österreich. Wie kann Österreich also ohne Habsburg sein, wie kann es ohne das Erzhaus weiterexistieren?“
    „Wer weiß, ob es das tut“, sagte Kisch leichthin, „die Deutschnationalen wollen Österreich ohnehin an Deutschland anschließen, und die Sozis eigentlich auch. Nur die Christlich-Sozialen zieren sich noch. Aber wenn erst einmal die Monarchie abgeschafft ist, dann werden die auch für einen Anschluss sein, denn lieber sähen sie Österreich als südlichste Provinz des Reiches als in der Hand von roten Republikanern.“
    Jetzt kam Bewegung in Bronstein: „Das ist doch Humbug. Bei uns haben sie eine knappe, aber doch eine Mehrheit. In Deutschland regieren hingegen überall deine Genossen. Wenn Österreich also in Deutschland aufginge, dann wäre es vermutlich bald Teil einer

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