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Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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vergessen. Deutschland wird ebenso eine Räterepublik wie Sowjetrussland. Die Revolution ist in Gang gekommen, und keine Kraft der Welt wird sie mehr aufhalten.“
    „In der Zeitung stand aber …“
    „Natürlich stand in der Zeitung nur die Meldung über die Renegaten. Das ist ja logisch, denn die Zeitungen gehören genauso der Bourgeoisie wie die SPD. Die haben naturgemäß kein Interesse daran, die Wahrheit zu drucken. Scheidemanns Auftritt war nur der verzweifelte Versuch, dem Vormarsch desVolkes Einhalt zu gebieten. Aber damit wird die herrschende Klasse genauso Schiffbruch erleiden wie bei uns Karl der Letzte mit seinem Manifest an die Völker der Monarchie. Ich sag dir“, Jelka ergriff Bronsteins Unterarm und sah ihn merkwürdig verklärt an, „was heute in Berlin passiert ist, das passiert spätestens übermorgen hier in Wien.“
    In Bronstein meldete sich Widerspruch gegen diese Perspektive, aber er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Jelka war so begeistert, dass sie es sicher nicht goutieren würde, wenn er anderer Meinung wäre. „Na, da habt ihr ja noch eine ganze Menge zu tun“, sagte er schließlich.
    „Ja, da hast du recht. Deswegen waren die Genossen auch gar nicht begeistert davon, dass ich mich heute schon wieder vom revolutionären Kampf absentiert habe. Aber im Gegenzug habe ich ihnen zwei Texte für die nächsten Flugschriften verfasst, das hat sie dann wieder halbwegs versöhnt.“
    „Du, übrigens“, meinte nun Bronstein, „ich habe etwas für dich. Das ist mir heute im Zuge meiner Ermittlungen zugeflogen, und ich dachte mir, dass könnte dir von Nutzen sein.“ Dabei griff er in die Innentasche seines Mantels und holte das kleine Päckchen hervor, in dem sich der Schal befand.
    „Aber hallo“, sagte sie lachend, „das ist für mich? Dabei habe ich doch gar nicht Geburtstag.“ Die Freude war ihr merklich anzusehen. „Darf ich es gleich aufmachen?“
    „Ich bitte darum.“
    Mit einer schnellen Handbewegung riss sie das Papier auf und besah sich sodann den Inhalt. „Der ist aber wirklich schön. David, das hättest du nicht tun dürfen. Der war bestimmt sündhaft teuer.“
    „Eben nicht“, spielte er den wahren Sachverhalt herunter, „ich hätte dir doch nie ein bourgeoises Luxusgut gekauft. Das ist ein ganz gewöhnlicher Schal, der einen im Winter warm hält. Und so, wie sich dieser November bislang angelassenhat, wird das ein strenger Winter. Das übrigens umso mehr, als wir ja allesamt kaum Heizmaterial haben. Insofern wird dir dieser Schal ganz gut über die kalte Jahreszeit helfen, hoffe ich.“
    „David, du bist ein Schatz!“ Jelka beugte sich nach vor, umarmte Bronstein und küsste ihn links und rechts auf die Wange. Bronstein war froh über die schummrige Kerzenbeleuchtung im Lokal, denn so konnte er vielleicht verbergen, wie rot er eben geworden war. „David, dafür muss ich mich revanchieren. Herr Wirt, zwei Schnäpse noch.“ Kaum standen die Gläser auf dem Tisch, nahm sie das ihre hoch, hielt es Bronstein entgegen und sagte: „Auf dich, David. Sollst leben.“
    „Vice versa“, gab er lächelnd zurück.
    „Hast du eigentlich schon etwas gegessen?“ Jelkas Frage machte ihm mit einem Mal bewusst, dass er den ganzen Tag über praktisch nichts zu sich genommen hatte, und wie aufs Stichwort begann ihm der Magen zu knurren.
    „Überhaupt nicht“, presste er hervor. „Na dann müssen wir schauen, dass wir nicht verhungern, was?“
    Jelka winkte den Wirt an den Tisch und fragte ihn, was die Küche denn zu bieten habe. Der Mann zuckte mit den Schultern: „Leider überhaupt nicht viel. Die Versorgungslage ist ein Wahnsinn im Moment. In Öl herausgebratene Erdäpfel kann ich euch anbieten. Dann haben wir mährische Krautsuppe, die ist wirklich gut. Wir haben sogar noch etwas Wurst hineinschneiden können. Die letzte, um ehrlich zu sein. Mit einer Scheibe Brot macht das ein wirklich akzeptables Nachtmahl. Sonst gäb’s noch ein paar Eier, die könnt ich euch auch noch machen, falls ihr das wollt.“
    Jelka sah Bronstein fragend an. „Die Krautsuppe, die wär genau das Richtige“, meinte er. „Dann zweimal Krautsuppe“, resümierte Jelka.
    „Zweimal Krautsuppe“, echote der Wirt, „kommt sofort, bitteschön.“
    „Na bitte“, wandte sich Jelka nun wieder an Bronstein, „verhungern werden wir jedenfalls nicht.“
    „Hast recht.“ Bronstein zündete sich ebenfalls eine Zigarette an. „Und was hast du heute so gemacht?“
    „Das willst du gar

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