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Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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mich freut’s auch. Ich hab nur ein Problem, ich muss praktisch gleich wieder weg. Ich hab quasi nur schnell vorbeigeschaut, weil ich dich sehen und dir sagen wollte, wie es war. Und ich hoffe, wir können das nachholen, obwohl es derzeit so drunter und drüber geht, dass ich nicht einmal sagen kann, ob ich heute Abend Zeit haben werde.“
    „Ja, mir geht’s genauso. Wir haben heute Abend eine Menge Sitzungen, weil alles darauf hindeutet, dass der Kaiser heute abdankt. Und da ist natürlich die Frage, was kommt jetzt. Darauf müssen wir Kommunisten eine Antwort haben. Wir müssen es machen wie Karl in Berlin, und darauf bereiten wir uns gradevor. Wenn unsere Informationen stimmen, dann wird morgen ein entscheidender Tag für dieses Land. Am besten ist also, wir machen uns gleich etwas für Mittwoch aus, was sagst du?“
    Ich sage freudig Ja. Wieder um acht in dem Beisl bei dir?“
    Jelka dachte kurz nach. „Die nächsten Tage wird’s in der Innenstadt ziemlich rundgehen, da sind wir wohl beide gefordert. Mach ma lieber Herrenhof und schau ma, wohin uns der Abend dann führt.“
    „Abgemacht. Übermorgen um acht im Herrenhof.“ Bronstein war schon im Begriff, ihr die Hand hinzuhalten, als sie aufstand und ihn kurz umarmte. Dann drückte sie ihm einen Kuss auf die linke Wange und flüsterte ihm dabei „bis übermorgen“ ins Ohr. Danach nickte sie ihm noch einmal zu, ehe sie sich wieder an den Schreibtisch setzte, um mit der Korrektur des Textes fortzufahren, der dort vor ihr lag. Bronstein sah ihr noch eine kleine Weile zu, dann verließ er die Druckerei wieder.
    Während der Rückfahrt verhehlte er eine gewisse Enttäuschung nicht. Das Rendezvous im „Herrenhof“ war naturgemäß kein Vergleich mit einem Treffen am Karmeliterplatz. Doch er konnte auch schwerlich erwarten, dass sie jetzt eine Liaison hatten, nur weil sie sich vor zwei Nächten etwas näher gekommen waren. Für eine Frau war derlei kein Automatismus. Männer waren da entschieden simpler gestrickt. Der Austausch von Intimitäten kam dem Tausch von Ringen eigentlich schon sehr nahe. Wiewohl – wenn man es recht bedachte, gab es wohl auch eine erkleckliche Zahl von Männern, die aus einer einmaligen Begegnung im Bett auch noch keine Beziehung ableiteten. Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern war nun einmal keine einfache Angelegenheit, und das Einzige, was dabei als sicher angesehen werden konnte, war, dass eigentlich nichts sicher war. Am besten war, er hielt sich an das Positive, und davon gab es eigentlich gar nicht so wenig. Sie war ihm nicht gram, sie hatte einer neuerlichen Begegnung zugestimmt,und er hatte sie trotz seines Fehlverhaltens wiedersehen können. Das war objektiv weitaus mehr, als er nach dieser Nacht hatte erwarten dürfen.
    Vor der Oper verließ er den D-Wagen und blickte instinktiv neuerlich auf die Uhr. Bis zum vereinbarten Treffpunkt mit dem Vizepräsidenten hatte er noch rund zwanzig Minuten Zeit, und er merkte, dass er eigentlich ziemlich hungrig war. Kein Wunder, es war Äonen her, seit er zuletzt etwas gegessen hatte. Er überlegte, wo er sich Nahrung beschaffen konnte, und erinnerte sich an den Greißler in der oberen Kärntner Straße. Tatsächlich gelang es ihm dort, einen etwas verhutzelten Apfel und einen Kanten Brot zu erstehen, die er gierig vertilgte, während er über den Neuen Markt ging, um von dort durch einige Seitengassen wieder den Michaelerplatz zu erreichen.
    Als er schließlich am Ballhausplatz eintraf, fuhr eben der Wagen des Vizepräsidenten vor, und Bronstein wurde von seinem Vorgesetzten in das Auto befohlen. Er war kaum zum Sitzen gekommen, als der Vizepräsident schon laut stöhnte. „Jetzt hamma den Salat. Ich weiß vom Verbindungsbeamten, dass der Lammasch sein Kabinett nur noch um sich versammelt, um den kollektiven Rücktritt zu beschließen. Der Kaiser, das steht schon fest, wird annehmen, und zwar, ohne dass er eine neue Regierung ernennt. Damit ist das Kaisertum Österreich endgültig erloschen, denn wo keine Regierung, da auch kein Staat. Ab sofort gibt es nur noch diese Deutschösterreicher mit ihren Rumpfländchen.“
    „Und der Kaiser?“, fragte Bronstein erschrocken.
    „Der wird abdanken. Noch heute wahrscheinlich. Es gibt eine Erklärung, wonach er auf jeden Anteil an den Regierungsgeschäften verzichten will und von vornherein jede Entscheidung akzeptiert, die Deutschösterreich über seine Regierungsform trifft. Es heißt, damit halte er sich ein Hintertürchen offen,

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