Ciao Mayer
seine Laune und er orderte ein Glas Weißwein beim Wirt. Der brachte ihm ein besonders gut gefülltes und murmelte, „ist auch gesünder“.
Nach dem Essen bestellte er einen Kaffee, nahm die kleine Espresso-Tasse mit nach draußen, vor die Tür, wo schon einige andere Gäste standen und rauchten. Man kam ins Plaudern, rauchte noch eine, unterhielt sich prächtig.
*
Als Massimo auf seine Vespa stieg, war es fast zwei. Na und? dachte er. Immerhin hatte er eine Idee.
Der Verkehr war erträglich. Noch drängten die Römer nicht zurück in die Büros. In fünfzehn Minuten erreichte er den Villa Borghese-Park. Für vier Uhr hatte er sich mit Gianni verabredet, seinem Freund bei der Polizia di Stato. Es blieben ihm beinahe zwei Stunden, um sich noch einmal gründlich umzusehen.
Er hätte nicht sagen können, was er finden wollte. Er wusste schlicht nicht, was er sonst hätte tun können, um im „schillernden Mordfall Motti“, wie sein Chef in einer Bild-Unterzeile geschrieben hatte, auch nur einen Zentimeter weiter zu kommen. Er brauchte neuen Stoff zum Schreiben. Ihm grauste schon jetzt vor der, auch an diesem Abend von ihm erwarteten Tortur. „Auf 'ner Glatze Locken drehen“ hatte sein Lehrer an der Uni über den Journalismus gespottet, den Massimo jetzt betrieb, die „Rotlicht-, Blaulicht-Abteilung, Sex and Crime“.
Doch auch für dieses Genre hatte er viel bei dem alten Zeitungsmann gelernt. Das, was Massimo gerade machte, zum Beispiel: Noch einmal zum Tatort gehen, nachdem die Leiche weggeschafft war und nicht mehr alle Blicke und Gedanken auf sich zog. Das schaffte Freiräume für neue Blicke, neue Gedanken, eine andere Wahrnehmung des Tatorts und dadurch eine neue Vorstellung dessen was geschehen war.
Doch es funktionierte bei ihm leider nicht so, wie vom Honorar-Professor beschrieben. Wieder sah Massimo das Bild der zerfetzten Leiche vor sich, als er den Ort erreichte, an dem der achtzehnjährige Fußballer gefunden worden war. Ein neuer, zündender Gedanke wollte sich, wieder gegen alle Theorien seines Lehrmeisters, auch nicht einstellen.
Ratlos sah Massimo sich um. Zwanzig, fünfundzwanzig Meter weiter endete der Park an einem schmiedeeisernen Tor zur Via Pinciana. Wo Bäume und Büsche weniger eng standen, konnte er den inzwischen dichter gewordenen Verkehr beobachten. Die Normalität um ihn herum ärgerte ihn. Hier war vor drei Tagen ein junger Mensch gestorben, schrecklich zugerichtet von wild gewordenen Bestien. Jetzt schienen der Park, die Luft, die Straße von jedem Gedanken an die Bluttat gesäubert, von jeder Erinnerung befreit.
Massimo drehte sich um, entfernte sich langsam vom Tatort, ging tiefer in die Grünanlage. Frauen, die Kinderwagen schoben, kamen ihm entgegen. Ältere Männer führten ihre Hunde aus, kleine Cocker und Lapradore. Keiner hatte einen Kampfhund an der Leine.
Auf einer sonnigen Wiese hatte sich eine indische oder pakistanische Großfamilie niedergelassen. Massimo konnte die Typologie der beiden verfeindeten Völker nicht unterscheiden. Sie hockten vor Monster-Holzkohlengrills, die beißende Rauchschwaden durch den Park schickten und überzogen die Rasenfläche mit indischer oder pakistanischer Musik, die aus bis zum Anschlag aufgedrehten Ghetto-Blastern kam. Massimo wich Lärm und Qualm aus, nahm den nächsten Weg rechts, Richtung Zoo.
Erst in der Sekunde, als er die fehlenden Begrenzungssteine sah, erkannte er die Stelle wieder. Hier war der arme Kerl aus Kalabrien erschlagen worden, den man aus dem Tiber gefischt hatte. Womöglich war die Tat in derselben Nacht geschehen, in der Franco Motti ums Leben gekommen war. Die Polizei hatte den Todeszeitpunkt des Süditalieners noch nicht genau bestimmen können, so stand es im jüngsten Artikel seines Kollegen Pippo, weil die Leiche im Wasser von Fischen angefressen worden war. Das machte die Sache schwieriger, hatte die Polizei erklärt.
Wie am Tag zuvor, als er den Zeitungsbericht gelesen hatte, dachte Massimo auch jetzt darüber nach, welche Fische wohl in dem verdreckten Wasser des Tibers überleben könnten. Einen Biber hatte er einmal gesehen, als er seine Vespa an der Kaimauer am Trastevere-Ufer abgestellt hatte. Das war, als nach heftigen Regenfällen im römischen Hinterland, ganze Inseln aus Bäumen und Müll nach Rom getrieben wurden, sich unter den Brücken verfingen, verhakten und für ein paar Wochen stabile Pontons bildeten. Darauf, neben Cola-Flaschen und leeren Zementsäcken, hatte er einen richtigen
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