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Ciara

Ciara

Titel: Ciara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
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übernatürlichen?
    Nachdem Stella ihn abgelöst hatte, aß er verspätet in der Kantine zu Mittag. Dort belauschte er das Gespräch zweier Laborantinnen, die sich über die Wiederbelebung eines Kollegen unterhielten und dabei Paul lobten, als sprächen sie über eine Berühmtheit. Mike wusste nicht mehr, was er von dem Mann, dessen ärztliche Kapazitäten er bisher sehr geschätzt hatte, halten sollte.
    Den Teller mit den verkochten Kartoffeln und dem zu weichen Gemüse stellte er zur Seite und trank einen Schluck Kaffee. In sich versunken, schob er ein Stückchen Zucker auf dem Tisch hin und her und hoffte auf eine Eingebung, eine Idee, die ihm eine logische Erklärung für die Ereignisse der letzten Tage liefern konnte, aber ihm wollte nichts einfallen. Er ließ den Teller und die halb volle Kaffeetasse stehen und machte sich auf den Weg zur Intensivstation, wo er sich nach einem Patienten erkundigte.
    Der Laborant Adam Klein befand sich außer Lebensgefahr.
    »Darf ich zu ihm?«, fragte Mike.
    »Sicher. Zimmer sieben, vorne rechts«, bekam er zur Antwort. Wie bei einer Visite klopfte er kurz an und betrat den Raum.
    Mike stellte sich als neuer Arzt vor und erkundigte sich formell nach dem Befinden des Patienten.
    »Danke, mir geht es gut. Ich hätte tot sein können, aber dieser fähige Arzt – wie hieß er noch gleich?«
    »Paul Philis?«
    »Ja, ich glaube, das war der Name, den mir die Schwester genannt hat. Ich bin ihm zu großem Dank verpflichtet. Gut zu wissen, in so einem Krankenhaus zu arbeiten – und behandelt zu werden.«
    Während Mike die Krankenakte studierte, die am Nachttisch hing, sagte er: »So ein Zufall, dass Paul im Labor war, nicht wahr?«
    »Ja, ich weiß auch gar nicht mehr, warum. Aber es war mein Glück.« Der Mann lächelte.
    »Haben Sie, bevor Sie zusammenbrachen, irgendetwas gespürt?«
    Adam Klein, dessen Nachname nicht annähernd zu seinem massigen Körperbau passte, bewegte sich leicht unter der Bettdecke. Sein Gesicht verwandelte sich in eine blasse, starre Maske. »Ich fühlte ein Feuer, das in mein Gehirn drang. Vor Schreck blieb mir das Herz stehen.«
    »Ich verstehe.« Mike hängte die Mappe zurück an ihren Platz, verabschiedete sich schnell, wünschte alles Gute und eilte aus dem Zimmer, aus dem Krankenhaus und in die kalte Winterluft, um die aufsteigende Hitze abzukühlen, die in ihm brannte.
    Noch vor wenigen Stunden hatte die Temperatur weit über null gelegen, der Schnee vom Vortag war geschmolzen, doch nun rieselten aus den hellgrauen Wolken am Firmament neue dicke Flocken. Mike legte den Kopf in den Nacken, damit die kalten Kristalle sein Gesicht kühlen konnten. Erst als sein Körper so stark vor Kälte zitterte, dass seine Zähne aufeinanderschlugen, suchte er Zuflucht in der stickigen, nach Desinfektionsmittel stinkenden Wärme des Krankenhauses.
     
    Eigentlich hatte er versprochen, nach Schichtende zu Ciara und Paul zu fahren, doch er entschied sich dagegen.
    Auf dem Asphalt lagen matschige, dreckig braune Schneereste, die eine Haube von weißem Neuschnee trugen. Vorsichtig umfuhr Mike diese rutschigen Inseln mit seiner Harley.
    Es schien an der Zeit, sein Bike in der Garage zu lassen und den klapprigen moosgrünen Audi zu benutzen – und falls dieser nicht ansprang, auf den Bus umzusteigen. Er hasste Busfahren noch mehr, als in einem Auto zu sitzen. Vermutlich würde er auch bei eisiger Kälte und Schneefall auf zwei Rädern zur Arbeit rutschen, wenn er seiner Mutter nicht bei jedem seiner Besuche im Heim versprechen müsste, die Maschine im Winter stehen zu lassen. Seine Mutter war die einzige Frau in seinem Leben, der er keinen Wunsch abschlug und jede Bitte erfüllte, sofern es in seiner Macht lag. Er verdankte ihr viel.
    Der kalte Fahrtwind kroch durch seine Kleidung und schickte ihm eine Gänsehaut über den Körper. In der Regel kam er mit einer Nebenhöhlenentzündung pro Winter davon, aber es hatte auch schon so manches Jahr gegeben, in dem er mit mittelschweren Erfrierungen an Fingern und Zehen für seine Leidenschaft bezahlt hatte. Dennoch bekam er so etwas wie Heimweh, sobald er seine Harley zum Winterschlaf in die Garage stellte, so als verabschiede er sich von seiner einzigen Liebe, die er erst im noch weit entfernten Frühling wiedersehen durfte.
    Als er zu Hause ankam, stellte er als Erstes sein Bike in die gemietete Garage, um es vor weiterem Schneefall zu schützen, und deckte es zusätzlich mit einer Plane ab. Seufzend schlug er das Tor zu.

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