Cigams Sündenfall
länger als sie, denn sie mußte sich erst zurechtfinden.
Da Cigam nicht mehr sprach, gab ihr dies Gelegenheit, sich umzuschauen. Der Kutscher kannte sich in Prag aus, er würde sein Ziel nicht verfehlen, und sie hatten bereits die Gasse verlassen, in der sich die beiden getroffen hatten. Eine noch engere Gasse hatte sie aufgenommen. Sie war so schmal, daß die Kutsche soeben hindurchpaßte, und sie war nur von einer Seite aus zu befahren.
Häuser mit grauen, brüchig wirkenden Fassaden rahmten die Gasse ein.
Wer sie verlassen wollte, konnte es nur durch schmale Lücken, die sich hin und wieder zwischen den Häusern auftaten und wo alte Steintreppen schräg und ausgetreten in die Höhe führten, zu anderen Häusern oder kleinen Plätzen in der Prager Altstadt.
Über allem stand der blaue Himmel. Aber die Luft drückte, und der Wind schaffte es nicht, die Gerüche aus dieser sehr schmalen Gasse zu vertreiben. Aus allen Öffnungen und Nischen schien der unsichtbare Dampf zu fließen, der über das aufgerissene Pflaster wehte. Der Weg führte leicht bergauf. Am Ende der Gasse drängten sich einige Menschen um zwei Musiker zusammen, die wieder anfingen zu spielen, nachdem sie Münzen eingesammelt hatten. »Halte an!« rief Cigam.
Er hatte so laut gesprochen, daß er auch von dem jungen Kutscher gehört worden war. Der Mann zerrte an den Zügeln, und der Schimmel stoppte.
Die Geräusche erstarben. Nur die Klänge der Musik wehten den beiden aussteigenden Personen entgegen. Es waren böhmische Melodien, sehr fröhlich und zum Tanze einladend.
Bezahlt worden war der Kutscher schon. Und er hatte Glück gehabt, daß die beiden ihn laufenließen. Als der Mann und die Frau sich einige Schritte von der Kutsche entfernt hatten, spürte der junge Mann auf dem Bock plötzlich die Kälte, die als Eishauch gegen ihn strömte und ihn wie ein Gefängnis umschloß. Die ganze Zeit über hatte er ein ungutes Gefühl gehabt. Er war mit seinen Fahrgästen nicht zurechtgekommen und war froh, trotz des hohen Salärs, verschwinden zu können. Er tat etwas, was er nur in Ausnahmefällen machte. Er ließ die Peitsche kurz auf den Rücken seines Pferdes knallen, nicht sehr fest, dafür sorgte er schon, aber das Tier war es nicht gewohnt. Mit einem schrillen Wiehern startete es so rasch wie möglich. Die Kutsche rutschte und schwang. Sie polterte über das holprige Pflaster hinweg, wäre fast gegen eine Wand geprallt, aber sie fing sich wieder.
Cigam und Altea schauten ihr nicht nach. Für sie war der Fahrer bereits vergessen.
Cigam drehte sich einmal um. Seine Augen flackerten dabei, als würde kaltes Feuer in ihnen brennen. Er schaute auf die Versammelten und auch auf die Musiker, als wollte er sich im nächsten Moment auf sie stürzen und sie zerreißen. Er ging jedoch weiter.
Sein Ziel war eine der schmalen und krummen Treppen, die zwischen den Häusern in die Höhe führten, als wollten sie erst dort enden, wo der blaue Himmel begann.
Das traf nicht zu. Nach einem Knick waren noch genau vier Stufen zu gehen, um einen Platz zu erreichen, auf den die Sonne schien.
An einigen Fensterbänken waren Blumenkästen angebracht worden.
Aus ihnen schauten bunte Blumen hervor, als wollten sie die Besucher willkommen heißen. Er wartete ab und hörte, wie Altea ebenfalls die letzten Stufen nahm und in die Stille dieses Platzes hineintrat. Es war wirklich sehr still. Die Stadt schien weit entfernt zu sein.
»Ist es hier?«
Cigam nickte. Mit seinem haarlosen Schädel und der grauen, kalten, auch abstoßenden Haut sah er aus wie ein perfekter Nosferatu. Nur fehlten bei ihm die blutsaugenden Vampirzähne, ansonsten paßte einiges zu diesem Aussehen.
Er drehte sich nach rechts und deutete dabei auf die Fassade eines dunklen Hauses. Selbst die Fenster wirkten düster. Das Haus sah unbewohnt aus. Es war klein, aber breit, es duckte sich gegen die anderen Häuser, und nicht eine Blüte verschönerte seine Fensterfront.
»Dort sind sie.«
»Was willst du tun?«
»Ich werde einzig und allein nach den Anweisungen des Meisters handeln, falls sie nicht mitmachen, töten wir sie.«
Altea nickte. »Wie viele sind es?«
»Mehrere.«
Cigam ließ sich nicht mehr aufhalten. Er steuerte auf dem direkten Weg die kleine Tür an, die den Eingang bildete. Sie saß schief und sah so aus, als könnte sie mit einem mittelschweren Tritt aus den Angeln gesprengt werden.
Das hatte Cigam nicht vor. Er drückte sich dagegen und schaute in das Halbdunkel des
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