Cinderella auf Sylt - Bieling, E: Cinderella auf Sylt
studiere Architektur.«
»Und wo, wenn ich fragen darf?«
»Uni Hamburg. Davon zwei Semester auf Sylt.«
»Sie interessieren sich also für Häuser und Gebäude?«
»Ich entwerfe sie quasi.«
»Dann kennen Sie doch sicherlich Burghotel Sylter Sand? Ein außergewöhnliches Hotel und wirklich faszinierend.«
»Ja, kenne ich. Interessieren Sie sich denn auch für Architektur? Ich meine, weil Sie gerade den Sylter Sand erwähnten.«
»Nein, ich arbeite dort. Aber erst seit einigen Wochen.«
Er räusperte sich. »Ja, das Burghotel ist schon einzigartig in seiner Bauweise.«
»Das ist es! Um nochmal zurück zur Anzeige zu kommen,haben Sie denn Erfahrungen mit Kindern oder vielleicht eigene?«
»Sorry, da muss ich passen. Ist das denn wichtig?«
»Ich denke schon. Zumindest in diesem Fall, als Ersatz-Papa. Ist ja doch eher ein ungewöhnlicher Job für einen Mann.«
»Ja, natürlich! Ich denke, dass ich dennoch gut mit Ihrem Sohn auskommen werde. Schließlich war ich ja auch mal fünf.«
Cinderella kicherte. »Ein starkes Argument.«
Das Abendbrot verlief wortlos. Tommy ignorierte seine belegten Brote und schlürfte absichtlich laut seinen Tee, während Cinderella über den ungewöhnlichen Jobbewerber nachdachte. Er hatte sie, nachdem sich herausgestellt hatte, dass ihre Annonce unter der falschen Rubrik veröffentlicht worden war, doch noch zu einem persönlichen Treffen überredet.
Ausgerechnet unter Kontaktanzeigen.
Ein Fehler, der ihr mehr als unangenehm war.
Wie konnten die nur?
Aber der Fremde mit der sympathischen Stimme hatte ihr irgendwie ein Okay entlockt. Und nun saß sie stumm vor ihrem Rosinenbrot und fürchtete das erste Aufeinandertreffen.
Tommy rutschte vom Stuhl herunter und ging in sein Zimmer.
»Soll ich dir eine Gute-Nacht-Geschichte erzählen?«, fragte Cinderella, ohne mit einer vernünftigen Antwort zu rechnen.
»Aber keinen Mädchenkram.«
Was um alles in der Welt ist Mädchenkram?
»Was meinst du?«
»Na, diese Prinzessinnen-Geschichten.«
»Weshalb? Die sind doch schön.«
»Die leben aber am Ende immer noch alle. Sogar Schneewittchen.«
»Aber das ist doch gut so.«
»Nee! Ich will Piraten oder Monsterkrabben, die kämpfen.«
Keine Märchen mehr?
Cinderella liebte sie alle – die Märchen, mit denen sie aufgewachsen war. Vielleicht konnte sie eine gute Mischung erfinden, einen Mix aus Märchen und Tommys Krabbenmonstern.
Rotkäppchen und der Wolf,
huschte es durch ihren Kopf. Sie stand auf und folgte ihm. Tommy lag tief im Bett versunken. Die Decke hatte er bis zur Nasenspitze gezogen. »Rotkrabbe und der Wolfshering«.
»Was?«, fragte Tommy erstaunt.
»Rotkrabbe war einer der gefürchtetsten Räuber im ganzen Meer. Er hatte beim Kampf schon zwei seiner Beine verloren und über seinem rechten Auge trug er ein wasserfestes Pflaster.«
Tommy kicherte unter seiner Decke hervor. »Ein Pflaster?«
»Ja. Und das war schon so alt, dass es mit den Jahren angewachsen und voller Algen war.«
Nachdem Tommy eingeschlafen war, löschte Cinderella das Licht und schlich hinaus. Zum Glück brauchte sie sich kein abscheuliches Ende für den Meeresräuber Rotkrabbe ausdenken. Tommys Augen waren schon gleich am Anfang der Geschichte zugefallen. Dabei hatte er noch irgendwas von Moritz und Surfen gemurmelt. Dieser unverhoffte Anrufer hatte es ihm scheinbar angetan. Müde vom Picknick am Strand, ließ Cinderella sich aufs Sofa fallen. Es ersetzte zwar nicht wirklich ein Bett, war aber ein guter Ersatz. Decke und Kissen lagen tagsüber auf einem der Sessel. Cinderellaklopfte eine Kuhle ins Kissen und bettete ihr Haupt darauf. Morgen in aller Frühe würde sie der Ohrenwecker unsanft aus den Träumen reißen. Ach ja, morgen. Der Tag, an dem sie der netten Telefonstimme gegenüberstehen würde.
Wie er wohl aussieht?
Cinderella schloss die Augen und versuchte sich von Moritz ein Bild zu machen.
Architekturstudent, Mitte zwanzig und Surfer.
Ein kinderfreundlicher junger Mann, der ein Semester aussetzen musste, um sich das Geld fürs weitere Studium zu verdienen, mehr wusste sie nicht von ihm. Bestimmt hatte er so einen lustigen Spitzbart, wie sie es oft bei Dauerstudierenden gesehen hatte.
Dunkelblondes Haar, dicht und halblang. Dazu Locken. Ganz bestimmt hatte er welche, so wie Rudi Völler.
Ach, wichtig war jetzt, für Tommy den richtigen Ersatz-Papa auszuwählen. Einen, auf den man sich verlassen konnte. Bisher war Moritz der einzige Bewerber auf den Job. Kein Wunder, wo doch ihre
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