Cinderella auf Sylt - Bieling, E: Cinderella auf Sylt
vor sich hin. So viel Glück auf einmal zu haben ängstigte sie auch ein wenig. Weshalb war plötzlich alles so viel anders als früher? Lag es an Sylt? Oder war sie tatsächlich eine andere geworden? Nachdenklich lehnte sie sich zurück. Moritz las unterdessen aus einemder alten Bücher vor, die im Regal des Zimmers standen.
Ein Märchen? Und Tommy motzt nicht herum?
Cinderella konnte es kaum fassen. Dieser Moritz sah nicht nur zauberhaft aus, er schaffte es sogar, rebellische Jungs in lammfromme Knaben zu verwandeln. Ein Wunder, für das sie gerne zwei Kleider mehr nähen würde. Und das musste sie, wenn Moritz als Ersatz-Papa dauerhaft bleiben sollte. Cinderella schlich zur Kinderzimmertür und spähte um die Ecke. Moritz saß auf einem Stuhl neben dem Bett. In seinen Händen hielt er ihr Lieblingsbuch – »Die schönsten Märchen der Gebrüder Grimm«. Seine Stimme war wie geschaffen dafür. Betonend, aber dennoch leise führte er durch die märchenhafte Welt von Schneeweißchen und Rosenrot. Cinderella, die angelehnt am Türrahmen stand, rutschte rücklings hinunter, setzte sich und stützte ihr Kinn auf ihre angewinkelten Beine. Fasziniert lauschte sie seinen Worten. Tommy wurde zunehmend ruhiger. Gerade als beide Schwestern den bitterbösen Zwerg in der Geschichte vorm Ertrinken retten, klappte Moritz das Buch zu und stellte es zurück zu den anderen.
»Schade«, flüsterte Cinderella.
Er lächelte, löschte das Licht und hockte sich vor sie. »Weshalb?«
»Ich mag die Stelle, wenn der Zwerg seiner Boshaftigkeit erliegt.«
»Aha! Soll ich für Sie weiterlesen?« Er zeigte zum Regal.
»Nein, nicht nötig. Ich habe jedes einzelne Märchen Hunderte Male gelesen.«
»Und welches ist Ihr Lieblingsmärchen?« Seine Hand fuhr blitzartig nach oben. »Stopp! Lassen Sie mich raten. Aschenputtel, stimmt’s?«
»Denken Sie?«
Er rückte näher. »Ich bin mir ganz sicher.«
»Ach ja? Und weshalb?«
»Tommy hat mir Ihren Vornamen verraten.«
Sie blickte verschämt nach unten. »Mögen Sie noch eine Tasse Tee, bevor Sie gehen?«
»Gerne. Ich hoffe jedoch, dass dieser Abschiedstee nicht der letzte sein wird. Und auch, dass er mich nicht Ihrer Antwort beraubt.«
»Welcher Antwort?«
»Aschenputtel oder nicht?«
Cinderella schmunzelte. »Ach was, ist doch egal.« Sie reichte ihm die Tasse.
»Dennoch würde ich schon gerne wissen, ob ich richtig lag«, fragte er hartnäckig.
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Noch ein Stück Zucker?«
»Danke gern. Ich schätze, Sie lassen mich tatsächlich schmoren, was die Richtigkeit meiner Antwort betrifft.« Er lehnte sich mit seiner Schulter gegen die Wand und beobachtete Cinderella beim Abspülen des Geschirrs.
»Mag sein«, entgegnete sie. »Tut mir leid, aber ich muss Sie jetzt wirklich verabschieden. Wie Sie sehen, liegt noch eine Menge Arbeit vor mir.« Sie zeigte zur Nähmaschine, die mit Hilfe von Joseph seit einigen Tagen im Wohnzimmer zwischen den Fenstern stand.
Moritz blickte zur kleinen Arbeitsecke seiner Gastgeberin. »Was nähen Sie gerade?«
»Zwei Strandkleider und ein …« Sie stockte. »… Prinzessinnenkleid für eine gewiss wundervolle Traumhochzeit.«
»Das klingt ja romantisch.«
»Ja, das wird es auch werden. Dieses Kleid ist mehr als nur irgendein Brautkleid. Es ist …«
»Was?«
»Ach was, nicht so wichtig.«
Moritz trank seine Tasse aus und übergab sie Cinderella. »Vielen Dank für den Tee und den netten Abend.«
»Ich habe zu danken. Immerhin haben Sie uns eine Menge Ärger erspart.«
Er ging zur Tür, öffnete sie und drehte sich lächelnd um. »Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie sich entschieden haben?«
Cinderella nickte ihm zu.
»Okay. Und danke nochmals für den Tee.«
Er trat in den Flur und zog leise die Tür hinter sich ins Schloss. Nur der Duft seines Eau de Toilette blieb. Ein Duft, der eigentlich eher zu einem Geschäftsmann als zu einem Studenten passte.
Eine verhängnisvolle Entscheidung
Merle Rosch drückte den Wischmopp im Eimeraufsatz aus und fuhr damit über den Boden. »Und du meinst, er ist der Richtige?«
Cinderella schwang die Tagesdecke übers Gästebett. »Glaub schon. Du hättest ihn dabei sehen müssen. Als wenn er das jeden Tag tun würde.«
»Vielleicht tut er das ja auch.«
»Wie meinst du das?« Cinderella blickte erwartungsvoll zu Merle.
»Ich meine, dass er vielleicht selbst Kinder hat.«
»Aber das hätte er doch bei seiner Vorstellung erzählt.«
»Hätte er?« Merle winkte ab.
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