Cinderella undercover
Ausstellungsraum verwandelt worden war. An den mit Silberfolie verkleideten Wänden hingen Fotografien und Bilder, auf Podesten aus Plexiglas standen Skulpturen und Figurinen. So viel unterschiedliche moderne Kunst an einem Ort war wirklich beeindruckend. Die Innenausstattung erinnerte in seiner Coolness ein wenig an Andy Warhols Factory . Vor allem weil auch hier im hinteren Teil des Raums ein Münzfernsprecher hing. Auf dieses Kommunikationsmittel hatte der telefonsüchtige Künstler damals nicht verzichten können.
Wegen des Abschlussballs trugen die meisten Besucher bereits Abendgarderobe: die Herren dunklen Anzug oder Smoking, die Damen Haute Couture.
»Du siehst sensationell aus«, begrüßte mich Daniel und küsste – Hilfe! – meine Hand. Ich zog sie so schnell zurück, als hätte ich einen elektrischen Schlag bekommen, und stammelte: »Danke schön… du aber auch.« Daniel trug ebenfalls einen Smoking. »Oh Gott, wie peinlich«, murmelte er und wurde tatsächlich ein bisschen rot. »Du musst ja denken, ich hab sie nicht mehr alle. Keine Ahnung, was da plötzlich in mich gefahren ist. Du siehst einfach aus wie eine Märchenprinzessin und na ja… zu der Zeit gab man den Damen ja wohl noch einen Handkuss, oder?«
»Jetzt bin ich aber beleidigt«, empörte sich Violetta, die neben ihm stand. Wo war die denn auf einmal hergekommen? Sie trug ein enges bordeauxfarbenes Kleid, dessen elegante Schlichtheit von atemberaubend schönen Chandeliers überstrahlt wurde. »Ddddu hast tttolle Ohrringe«, stotterte ich, durch den Kuss komplett aus der Fassung gebracht. Was auch immer geschah, ich würde meine rechte Hand unter keinen Umständen mehr waschen. Denn diese Berührung war wohl das Einzige, das ich von Daniel bekommen würde.
»Die sind von einer gewissen Stephanie Wolters, die einen Antiquitätenladen in der City hat. Sie sind aber nicht antik. Die Inhaberin hat sie selbst designt.«
Wow, Stephanie war also doch ganz begabt, wer hätte das gedacht? Diese Neuigkeit blieb allerdings nicht die einzige Überraschung: Gegenüber dem Münzfernsprecher standen nämlich drei große Flachbildschirme auf einem Podest, ähnlich wie in der »Ersten Liebe«. Doch anders als dort liefen hier keine Surfer-Videos in der Dauerschleife, sondern… Hilfe, ich musste schnellstens hier weg! Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass der Boden unter meinen High Heels anfing zu schwanken. »Toller Film, oder?«, fragte Daniel und zog mich und Violetta zu den Monitoren. »Ganz Hamburg hat ja mehrere Tage lang gerätselt, wer hinter diesen genialen Bildern und dem Kürzel AP stecken könnte. Und guck mal: Der- oder diejenige hat genau wie GG Free your mind über die Bilder gesprüht.« Vor Schreck wurde ich stocksteif und brachte keinen Ton raus. Violetta schien genauso begeistert zu sein wie Daniel: »Endlich mal Street-Art-Kunst für Frauen«, schwärmte sie begeistert. Mühsam schaffte ich es endlich, ein »Echt toll, wirklich« zu murmeln und dann »Sorry, bin gleich wieder da«. Bloß weg hier!!!
Erst einmal auf die Toilette, mich sammeln und überlegen, wen ich anrufen konnte. Pauline war mit Leopold im Kino und Louisa bei ihren Großeltern. Blieb also nur noch GG. »Was soll ich denn jetzt machen?«, flüsterte ich in meinem WC-Versteck, nachdem ich ihm erklärt hatte, was passiert war. Wie gut, dass gerade keiner außer mir auf der Toilette war. Gernot dachte einen Moment lang nach, bevor er antwortete. »Am besten du beruhigst dich erst einmal und versuchst einfach, so zu tun, als sei nichts passiert. Vielleicht schaffst du es ja, unauffällig herauszufinden, wieso dieser Beitrag überhaupt auf der Ausstellung gezeigt wird und wie die Petersens an das Material gekommen sind. Setz auf alle Fälle ein Pokerface auf. Im Grunde kann dir ja auch gar nichts passieren. Also good luck, Liebchen, und meld dich, wenn du Hilfe brauchst, ich bin ja quasi nebenan. Und schöne Grüße von Stephanie und Kristen, wir spielen gerade Scrabble.«
Nachdem ich aufgelegt hatte, war ich ein kleines bisschen ruhiger. Gernot hatte recht. Wie sollte irgendjemand herausfinden, dass ICH AP war? Es ging nur darum, die Nerven zu behalten. Und vor Daniel und Violetta würde ich einfach behaupten, dass ich Kopfschmerzen bekommen hatte und deshalb an die frische Luft gegangen war.
Auf dem Weg zurück summte ich, um mir ein bisschen Mut zu machen, den Song von Lady Gaga: »Oh, oh, oh, oh, I’ll get him hot, show him what I’ve got. Can’t read my,
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