Cinderellas letztes Date
wenn, was? – von ihrem Lover, und er drehte ihr den Hals um?
Mord, so schrecklich das klang, schien Ruby wahrscheinlicher als alles andere. Gern hätte sie ihre Eltern gebeten, Clarissa exhumieren zu lassen, damit an ihr eine weitere Autopsie durchgeführt werden konnte, um Klarheit zu schaffen. Aber sie kannte ihre Mom und ihren Dad gut genug, um zu wissen, dass sie ein solches Vorgehen unter dem Hinweis auf die Totenruhe, die nicht gestört werden durfte, strikt ablehnen würden.
Zudem vertrauten ihre Eltern voll und ganz auf Sheriff Warden, dem sie neben Chelsea als einzigem Nicht-Familienmitglied von Clarissas Kreditkarten-Ausschweifung erzählt hatten. Und so stand in seinem Abschlussbericht, dass die jüngste Cartwright sich allem Anschein nach in einer Lebenskrise befand und als Ausweg den Freitod wählte. Angeblich war sie bereits am Sonntagnachmittag zum Bergsee gegangen oder per Anhalter gefahren. Laut Warden hatte sie wohl noch mit ihrer Entscheidung gehadert und sich dann mit einer Schnur, die vermutlich eine ihrer Kleidungseinkäufe zusammengehalten hatte, zu später Abendstunde aufgehängt.
Als Ruby sich bei Brad über die vielen „vielleicht“ und „vermutlich“ mokierte, hatte ihr Bruder entgegnet, dass sie mit der Vergangenheit abschließen müsse.
Aber das konnte und wollte sie nicht. Jedenfalls so lange nicht, bis sie die Wahrheit kannte.
Allerdings wusste sie, dass sie auf sich allein gestellt sein würde. Und falls sich ihre Mordtheorie bewahrheiten sollte, musste sie vorsichtig sein. Wer immer ihre Schwester ermordet hatte, würde nicht entdeckt werden wollen und, um sich zu schützen, gewiss auch vor einer zweiten Tat nicht zurückschrecken …
„Ich geh mit ein paar Freundinnen ins Schwimmbad. Kommst du mit?“, riss Emma sie aus ihren Gedanken.
„Nein. Ich räume heute Clarissas Studentenzimmer aus. Es wird weitervermietet. Aber danke für die Einladung.“
„Wenn es dich zu sehr mitnimmt, in ihren Sachen herumzuwühlen, wirf sie einfach weg. Und wenn du Zuspruch brauchst … ich leg mein Handy auf eine der Liegen am Beckenrand.“ Emma winkte ihr zu und schloss die Tür hinter sich.
Clarissas Besitztümer waren überschaubar, aber das Beste vom Besten. Ganz nach dem Motto „Weniger ist mehr“ besaß sie einige Designerkleidungsstücke und Schuhe, die ein Vermögen gekostet haben mussten, sowie exklusiven Schmuck mit echten Edelsteinen.
In zwei der Outfits hatte Ruby sie gesehen. Der Rest schien neu zu sein. An einem Rock befand sich sogar noch das Preisschild. Er hatte 500 Dollar gekostet. Sie faltete alles sorgfältig zusammen und legte es in einen Koffer, den Brad mit ein paar Umzugskartons am Vortag ins Wohnheim gebracht hatte.
Nachdem sie Clarissas Kleidung verstaut hatte, leerte sie die Bücher- und CD-Regale. Anschließend kam die Kommode dran. Ruby zog die erste von zwei Schubladen auf. Clarissas einäugiger Teddy aus Kindertagen, feine, erotische Unterwäsche von Agent Provocateur und Kondome kamen zum Vorschein.
Hm … ihre Schwester musste also einen Liebhaber gehabt haben. Oder aber sie hatte für den Fall der Fälle vorgesorgt.
Ruby packte die Seidenunterhöschen und Spitzen-BHs zu den Kleidern in den Koffer. Die Designerstücke, Bücher und CDs würde sie Chelsea geben. Was die Verlobte ihres Bruders nicht behalten mochte, konnte die Mutter der Wohlfahrt spenden. Bis auf die Verhütungsmittel. Die musste Ruby anderweitig entsorgen, sonst bekäme ihre Mom einen Nervenzusammenbruch. Sie würde die Kondome später ins Gemeinschaftsbad der Studentinnen legen. Bestimmt gab es genug Mädchen, die sie gebrauchen konnten. Den Teddy steckte sie in ihre Motorradjacke. Ihn behielt sie als Andenken an Clarissa.
Sie öffnete die zweite Schublade. Ein Liebesroman, kalorienreduzierte Kekse, Kaugummis, ein Kalender.
Sie nahm den Kalender heraus und blätterte darin. Clarissas Termine und Verabredungen waren darin vermerkt. Ruby wunderte sich, dass ihre Schwester für ihre Dates nicht das Handy benutzt hatte.
„Zahnarzt, Mittwoch 10.15 Uhr“ … „Kino mit Penelope, Do. 20 Uhr „ … „Theater mit Mom, Dad & Brad, Freitag 19.30 Uhr“ … „Dagobert Duck, Dienstag 19 Uhr“ …
Dagobert Duck? Ruby stutzte. Was bedeutete denn dieser Eintrag? Seit wann fand ihre Schwester Gefallen an Zeichentrickfiguren? Besuchte sie etwa Kinderveranstaltungen oder Events in einem Comic-Shop?
Sie blätterte weiter. „Prince Charming, Freitag 20 Uhr“ … „Goofy, Dienstag
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