Circulus Finalis - Der letzte Kreis
hatte ich das paranoide Gefühl, es nicht mit einer Hilfs-, sondern mit einer paramilitärischen Organisation zu tun zu haben. Auf dem Weg zur Haltestelle fand ich eine Apotheke, die Notdienst versah und vor der ich mich angesichts einiger Karnevalsgeschädigter anstellen musste, um nach kurzer, quälender Wartezeit eine kühlende Salbe zu erhalten.
Ein wenig davon trug ich als Erstes auf die Stirn auf. Mein einziger Anhaltspunkt, das Buch, schwamm im Fluss oder befand sich unerreichbar in Borsbergers Hä nden. Und da es sonst keinerlei Plan für das weitere Vorgehen gab und mein Knöchel schmerzte, setzte ich die Perücke wieder auf und entschied mich dafür, zu meiner alten Universität zu fahren, und in der dortigen Bibliothek weiterzuforschen. Ein mehr als vages Unterfangen.
Die Straß enbahn fuhr auf diesem Teilstück schon wieder normal, und mit einem Seufzer ließ ich mich auf dem Kunstlederpolster nieder und begann, den leicht geschwollenen Knöchel zu behandeln. Hinter den verschmierten Scheiben verkleidete Menschen, entschlossen der Lustigkeit hingegeben, an deren Gewändern und Kopfbedeckungen der Wind zerrte. Regentropfen mischten sich dazwischen und zeichneten lange, fast waagerechte Streifen auf das Glas. Die Heizung unter dem Sitz lief auf vollen Touren, und ich begann zu schwitzen.
An der Endstation, wo die Bahn eine Schleife fuhr, stieg ich mit einigen Karnevalsmü den aus, die dem Wohnheim zustrebten; nur mehr leicht humpelnd folgte ich dem Weg an meinem alten Institut vorbei zur Bibliothek.
Vö llig unerwartet stand plötzlich Suntinger vor mir, mein ehemaliger Professor. Er hatte mich erkannt und begrüßte mich etwas verlegen.
„ Oh hallo, Sie. Karneval, oder?“
Ich nickte, nahm die Perü cke ab und gab ihm die nicht mehr ganz saubere Hand.
„ Sie sehen… äh… geht’s Ihnen gut?“
Ich nickte. Wenn selbst er, dessen Blick meistens nach innen gerichtet war, bemerkte, dass etwas nicht stimmte, dann stand es nicht gut um mich. Trotzdem und auch trotz der frü heren Diskrepanzen freute ich mich über die Begegnung, wissend, dass die äußere Erscheinung nicht wichtig war für ihn, und dass seine Überzeugungen ihn Vorurteil und Aberglauben meiden ließen, wo immer er dergleichen vermutete. Ich fragte ihn, ob er Zeit für einen Kaffee habe.
„ Oh, äh, ich habe… Für Sie, natürlich. Kommen Sie.“
Fünf Minuten später saßen wir in der im Kellergeschoss gelegenen, trotzdem auf eigene Art gemütlichen Cafeteria mit ihren runden Tischen, und ich ließ mir erzählen, woran er gerade arbeitete und was es am Institut Neues gab: von den internen fachlichen und personellen Debatten, den geplanten Exkursionen, Projekten und Veröffentlichungsvorhaben. All das klang auf so wohltuende Weise alltäglich, und ich hätte endlos zuhören können nach der Jagd durch die Stadt. Aber mein Gegenüber war aufmerksam genug, um mich zu fragen, wie es mir ginge und was ich jetzt machte.
Ich erzä hlte in kurzen Zügen und war überrascht, dass er mir meinen Wechsel nicht vorzuwerfen schien, sondern mich, den jetzt Berufstätigen, gewissermaßen als ebenbürtig ansah. Einem spontanen Entschluss folgend zog ich die beiden Skizzen aus der Tasche; erläuterte ihm, wie sie zu betrachten seien, und dass sie eine Art Rätsel darstellten. Er setzte sich gerade und schob die Brille auf der Nase zurecht. Hinter den Gläsern sah ich seine Augen ins riesenhafte anwachsen, während er die Blätter betrachtete.
„ Das ist… interessant. Was zeigt es?“
„ Keine Ahnung. Ich weiß es nicht. Vielleicht eine Kirche oder ein Kloster, aber ich komme nicht weiter. Erinnert es Sie an irgendetwas? Vielleicht eine alte Kreuzfahrerburg?“
Er hob die Brauen. „ Ist der Plan so alt? Und Sie sind auf Schatzsuche? Nun, nun.“ Er lächelte nachsichtig und strich sich durch den Bart.
„ Wenn Sie dahinter kommen wollen, dann müssen sie versuchen zu begreifen, wer etwas Derartiges bauen wollte und warum. Sie müssen denken, wie die Erbauer gedacht haben, sich in ihre Weltsicht und ihre Bedürfnisse hineinversetzen, verstehen Sie?“
Ich nickte, verstand aber nicht.
„Die Kreuzfahrer… Was war wohl das Wichtigste für sie?“
„ Die Kirche?“
„ Sie… Sie… Also das nun wirklich nicht. Mag schon eine Rolle gespielt haben, für einige, aber da gab es viele andere Triebfedern. Bevölkerungsdruck, auch beim Adel, Erbstreitigkeiten, nicht genügend Grund und Boden für alle Nachkommen. Langeweile, Ruhmsucht,
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