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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
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den Kopf und sah mich prüfend an, offensichtlich die Umstände einer Durchsuchung und mein kriminelles Potenzial gegeneinander abwägend. Ein wenig gequält hob ich die leeren Hände und lächelte. „Da ist mir wohl wieder ein Bildband in die Hosentasche gerutscht.“ Sie nickte halbherzig.
    Das brü nette Mädchen aus der Schlange starrte mich an. Aber so lief es, man musste nur hinreichend selbstverständlich tun, hinreichend dreist sein, die Wahrheit aussprechen, wenn sie unglaublich war, und lügen, wenn das nicht reichte - dann war alles möglich. Als sich die Schiebetür zur Straße hin öffnete, brach mir dennoch der Schweiß aus. War es nicht genau das, was mich hierher gebracht hatte?

    In der U-Bahn ging es mir schon wieder besser. Es war viel los, lauter rote Nasen, grelle Masken, farbige Perücken unterwegs in Richtung Innenstadt, aber nirgendwo orange Jacken. Ich wollte zum Fluss, um einen stillen Platz zu finden, wo ich das Buch in Ruhe durchsehen konnte. Etwas zu essen, wäre auch wichtig. Zurück in meine Wohnung wagte ich nicht zu fahren, aber am Fluss würde ich mich beinahe zuhause fühlen. Vor mir wurde ein Sitzplatz frei. Ich ließ mich nieder und zog das Buch unter der Jacke hervor.
    Schwarzweiß fotos, manche in der Reduktion von einiger Kunstfertigkeit. Landschaften, die eine Ruhe und Klarheit ausstrahlten, wie man sie mit unserer Zeit kaum in Verbindung bringt. Blick von einer Klosteranlage über das Land auf eine Autobahn ohne Leitplanken, wo an einem sonnigen Tag nicht mehr als zwei Fahrzeuge unterwegs waren. Dazwischen verschiedentlich Grundrisse, Skizzen, Rekonstruktionen, historische Pläne. Allerdings nichts, was mir in der schnellen Durchsicht entfernt vertraut vorkam.
    Ein Narr sah mir ü ber die Schulter. Schellen saßen an seiner Kappe. Ich ignorierte ihn, und an der nächsten Station war er weg. Als ich das nächste Mal aufsah, blickte ich in das geschminkte Gesicht meines Kollegen Bernd Borsberger.

    Er stand etwa fünf Meter weit entfernt, hielt sich fest und sah dabei ebenso überrascht aus, wie ich selbst es war. Langsam bewegte er sich durch das Gedränge hindurch zu mir her, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen, in denen ein trauriger Ausdruck stand. Vielleicht rührte das nur von seiner Clownsmaskerade her. Hinter ihm, durch die vom Ärmel eines Westernkostüms herabhängenden Lederfransen, erkannte ich seine Frau mit Pferdeschwanz und den beiden Kindern.
    Die Bahn wurde ruckelnd langsamer und hielt. Er musste sich kurz festhalten und schob sich dann weiter vor, wä hrend ich wie erstarrt sitzen blieb, das offene Buch auf den Knien. Als er etwa ein Drittel des Weges zwischen der Tür, an der seine Familie stand, und der nächsten, in deren Nähe ich saß, zurückgelegt hatte, sprang ich ohne jede Vorwarnung auf und drängte mich rücksichtslos und so schnell ich konnte zur Tür. Ich spürte einen Ellbogen in der Seite, dann einen Schlag in den Nacken, der mich auf den Bahnsteig taumeln ließ. Borsberger sah sich zu seiner Familie um und folgte mir dann durch das Gedränge der jetzt aufgebrachten Menge, die keinesfalls gewillt war, einen zweiten Drängler passieren zu lassen. Ich hörte das Zischen der Türen. Ohne länger zu warten, machte ich mich auf den Weg und lief auf die ans Licht führenden Rolltreppen zu.
    Fast schon dachte ich, fü r den Augenblick mehr oder minder elegant entkommen zu sein, da entdeckte ich am Fuß der Treppe den Clown, dem Schweiß über das bleiche Gesicht lief. Der Plan hatte nur zum Teil funktioniert, offensichtlich hatte er die Tür noch rechtzeitig wieder öffnen können, und sei es mit der Notfunktion. Ich atmete tief durch und nahm mit großen Schritten die letzten Stufen hinauf.
    Oben erwartete mich eine andere Welt. Der Wind hatte weiter zugenommen und riss an Dekorationen und Perü cken, übertönt nur durch Musik aus riesigen Lautsprechern, die von Karnevalswagen mit überlebensgroßen Aufbauten aus Pappmaché herab dröhnte. Mein erster Gedanke war, in der Menge unterzutauchen, aber die Reihen der Schauenden waren so dicht, dass es mir schwerfiel, eine Lücke zu finden. Hinter mir ahnte ich Borsbergers schnaufenden Atem. Es blieben mir nur zehn oder fünfzehn Sekunden.
    Ich ging in die Hocke. Der U-Bahn-Abgang war an drei Seiten von einer hü fthohen Mauer aus poliertem Granit eingefasst, hinter die ich mich kauerte. An der Rückseite stand zudem eine Werbetafel. In geduckter Haltung kroch ich so schnell wie möglich die wenigen

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