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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
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Augenblick daran fest, und wieder beschlich mich das vage Gefühl, das Gewirr müsse mich an irgendetwas erinnern. Ähnlich und doch in vielen Details voneinander abweichend, wie Variationen über ein Thema, und Bach kam mir in den Sinn, der Musikunterricht im Musiksaal der Schule, weit oben, mit einem schwarz glänzenden Flügel darin –
    Im allerletzten Moment, bevor mir die Augen zufielen, sah ich etwas. Vielleicht waren die Lider auch schon geschlossen, un d nur das Gehirn verweilte noch bei den letzten Bildern, deren schwaches Echo auf der Netzhaut lag. In diesem Moment sah ich etwas, es fügte sich etwas zusammen, das mehr als die Summe der Linien auf den beiden kopierten Zetteln war. Das eine übergeordnete Bedeutung hatte.
    Mit einem Ruck schreckte ich hoch, richtete mich auf, starrte wieder auf die Blä tter, aber es war vorbei. Ich sah nichts mehr.
    Tann lachte. „ Müde? Würde mich noch mal schlafen legen an deiner Stelle, die Nacht kann noch lang werden.“
    Wied er fokussierte ich die Bilder, in dem Gefühl, der Lösung ganz nah zu sein. Wie zwei unterschiedliche Varianten, leicht verschobene Versionen eines Labyrinths sahen sie aus, aber daran war nichts neu. Ich strengte meine Augen an, aber sie zeigten mir nichts, was ich nicht schon kannte. Die Müdigkeit, durch den Adrenalinschub kurz in den Hintergrund gedrängt, kehrte zurück. Ich mochte keine Rätsel.
    Und dann wusste ich, was ich tun musste. Abstand nehmen: Dieses Rä tsel wurde umso unlösbarer, je genauer, näher, und entschlossener man es betrachtete. Auf den ersten Blick zeigten die Blätter ein geometrisches Muster, hauptsächlich aus rechtwinkligen Linien bestehend, aber auch mit ein paar Schrägen und Rundungen. Die Linien kreuzten einander an vielen Punkten, und das alles wirkte wie ein Irrgarten, dessen Anlage keinerlei Logik folgt. Ich sah Metz vor mir, wie er nach Ähnlichkeiten mit Parks, Labyrinthen, Katakomben gesucht, schließlich mit der Lupe die einzelnen Linien betrachtet und in der Struktur des Papiers nach einer verborgenen Botschaften Ausschau gehalten hatte. Aber hier war das genaue Gegenteil erforderlich.
    Ich lehnte mich wieder zurü ck und entspannte die Augen, den Blick unbeweglich auf die Mitte zwischen den beiden Blättern gerichtet. Die Linien verschwammen ein wenig, und die Einzelbilder, die meine beiden Augen lieferten, trennten sich ein Stück weit. Langsam schob ich den Drehstuhl weiter zurück, Zentimeter um Zentimeter, bis das linke Blatt, so wie es mein linkes Auge sah, sich mit dem Bild des rechten Blattes, vom rechten Auge gesehen, deckte. Und in dem Moment, wo das geschah, fügte das Gehirn die Strichzeichnungen zu einem neuen Ganzen zusammen.
    Ein einfacher Trick. Ich erinnerte mich an Stereofotos aus meiner Kindheit, von einem Igel, der auf R eisen ging, und stoffbezogenen Teddys; ein Betrachtungsgerät aus Kunststoff erweckte die Bilder zu unbegreiflich räumlichem Leben. Siad hatte einen dreidimensionalen Plan gezeichnet. Er liebte derartige Spielereien, und ich schalt mich dafür, nicht eher an eine derartige Möglichkeit gedacht zu haben.
    Was ich sah, war allerdings immer noch sehr verwirrend. Rechtecke, die in den Raum zeigten, miteinander verbunden. Etwas fü hlte sich falsch an. Ohne die Augen wieder zu fokussieren, vertauschte ich die Positionen der beiden Blätter. Der dreidimensionale Eindruck ging verloren, aber als ich mich wieder zurücksetzte, dauerte es nur wenige Sekunden, und die Linien fanden von Neuem zueinander. Jetzt strebten die Rechtecke nicht mehr von mir fort, sondern auf mich zu. Und was ich sah, was mein Gehirn aus den beiden Bildern zusammenfügte, das war das dreidimensionale Bild eines Gebäudes, mehr eines Gebäudekomplexes; fast, aber nicht ganz senkrecht von oben gesehen. Wie in Hypnose, mit entkoppeltem Blick, starrte ich vor mich hin, und versuchte zu ergründen, ob und wenn ja wo ich ein solches Gebäude schon einmal gesehen hatte, oder zumindest, woran es mich erinnerte.
    Tann war hinter mich getreten. Bei all seiner demonstrativen Grobheit war er zweifellos sensibel dafü r, dass sich etwas im Raum verändert hatte. Er folgte meinem Blick, ich ahnte ein Kopfnicken in Richtung des Wachpultes. „Irgendwelche neuen Erkenntnisse?“
    Mit Mü he löste ich mich vom Papier, die dreidimensionale Illusion zerfiel, und übrig blieben zwei Zettel mit ein paar wirren Linien darauf; ein Labyrinth, in dem sich die Augen verliefen.
    „ Nein. Nichts. Ich wäre fast

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