Circulus Finalis - Der letzte Kreis
eingeschlafen. Bin nur müde.“
Obwohl das beinahe der Wahrheit entsprach und sicher ziemlich plausibel war, klang mir meine Erklä rung hohl in den Ohren.
33
An die Einsätze in der Nacht kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich glaube, es waren zwei oder drei, nichts Ungewöhnliches dabei, vermutlich. Doch auch zwischen den Alarmierungen fand ich keine Ruhe; meine Gedanken kreisten in einem wenig erholsamen Halbschlaf immer und immer wieder um die Skizzen und das, was sie darstellten. In einem der wacheren Momente wurde mir bewusst, dass ich trotz meiner Entdeckung vom Abend nichts erreicht hatte, denn die Bedeutung dieses Planes, oder was es auch war, blieb im Dunkeln. Aber die Überzeugung spürte ich stärker denn je, dass es mir gelingen musste, das Rätsel als Erster und möglichst ohne Zeugen zu lösen, um wieder die Kontrolle über meine eigene Schöpfung zurückzuerlangen. Ich musste einen Plan machen und die Geschichte zu einem Ende zu bringen. Für Irrtümer, Abwarten und Zusehen war keine Zeit mehr.
Es war eine reine Willensanstrengung, die mich trotz der immensen Müdigkeit weiter ordnungsgemäß den Dienst versehen ließ, bis der Wille dann nachließ, die seit dem Verbrennungsunfall am Nachmittag latente Übelkeit sich durchsetzte und mir den Magen umdrehte. Der Körper war zu mehr nicht bereit; es war, als stülpe sich mein Inneres nach außen. Tann gab sich trotz unserer Differenzen kollegial, fast schon besorgt. Auch ich konnte ihn irgendwie in meinem Elend besser leiden und entschuldigte mich dafür, dass mein Körper den Dienst versagte.
„ Dein Körper funktioniert bestens“, sagte er und grinste bereits wieder. „Will halt nur etwas loszuwerden, das ihm nicht guttut.“
Meine Ablö sung traf wenige Minuten später ein, es war der etwas verwirrt wirkende Wegmann. Der Heimweg musste allerdings noch warten, denn in der folgenden Stunde übergab ich mich weitere sechs Mal; dann beruhigten sich die gereizten Eingeweide und ließen mich erschöpft zurück. Die Kollegen boten an, mich nach Hause zu fahren, aber das schien mir eine unverhältnismäßige Anstrengung zu bedeuten, und ich streckte mich im Ruheraum auf einem der Feldbetten aus. Endlich konnte ich schlafen.
Gegen zehn Uhr wurde ich wach, als habe mich jemand gerufen, aber es war vollständig ruhig, und auch von nebenan, aus dem Wachraum, drang kein Geräusch durch die Falttür aus Plastik. Vermutlich waren die Kollegen unterwegs. Obwohl objektiv betrachtet noch immer schwach und erschöpft, fühlte ich mich vergleichsweise erholt nach den Stunden des Schlafes.
Plö tzlich holte mich das deutliche Gefühl ein, die Zeit sei knapp und es gehe um Minuten. Ich wollte so schnell wie möglich hier weg, noch bevor die anderen zurückkehrten. In aller Eile zog ich mich an und griff mir die beiden Zettel mit der Zeichnung. Ich hätte Kopien anfertigen können, aber dazu wäre entweder ein Besuch im Büro notwendig gewesen oder aber ein Halt in der Stadt mit Rückkehr zur Wache, um die Vorlagen zurückzubringen. Das schien mir alles zu umständlich, und außerdem konnte es sein, dass das Geheimnis an die Originale gebunden war. Mit etwas Glück würde eine Weile dauern, bis Tann und Wegmann wieder zur Wache zurückkehrten.
Ich rief ein Taxi herbei, ohne mir wegen des Taxifunks Gedanken zu machen, denn ohnehin wollte ich erst mal nur nach Hause, um meine Gedanken zu ordnen und mich frisch zu machen. Luxus, vielleicht, aber mehr als alles andere brauchte ich einen kl aren Kopf und ein Minimum an Wohlbefinden.
Meine Wohnung empfing mich aufgeräumt; ich hatte das Fenster gekippt gelassen, und die Luft im Raum war kühl und erfrischend. Sofort fühlte ich mich besser, und nach der Dusche fand ich mich trotz des noch immer flauen Magens schon wieder so weit von Normalität durchdrungen, um in Versuchung zu geraten einfach ein Buch zu nehmen, mich auf mein Bett zu legen, und den Dingen für heute ihren Lauf zu lassen. Dann kam Schlager mir wieder in den Sinn, der vor der Gefahr nicht die Augen verschlossen hatte, und der jetzt tot war, vielleicht gerade deshalb. Ich bedauerte, mich immer nur an der Oberfläche mit ihm abgegeben zu haben, statt ihn beizeiten ins Vertrauen zu ziehen. Es war eine Variation der üblichen Reue angesichts verpasster Gelegenheiten nach einem Todesfall. Aus einem Impuls heraus steckte ich das Telefonkabel in die Dose und rief meine Schwester an, ohne mehr zu erwarten als ein paar von Kindergeschrei unterbrochene
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