Circus
anonyme Morddrohungen eingegangen seien, aber eine andere Erklärung konnte auch nicht gefunden werden. Und der zweite merkwürdige Vorgang war, daß zwei angebliche Elektroingenieure gekommen waren – offiziell um die Leitungen des Zuges zu überprüfen. Als endlich jemandem Zweifel an ihrer Identität kamen und die Polizei verständigt wurde, waren die beiden mit ihrer Arbeit bereits fast fertig. Nur Harper wußte, wer sie waren. Um den Schein zu wahren, ließ er sie kurz festhalten, und diese Zeit reichte ihnen aus, um den Admiral anzurufen und ihm zu versichern, daß in keinem der Schlafquartiere des Zuges ein Abhörgerät installiert sei.
Und das vierte und zweifellos interessanteste Thema waren Bruno und Maria. Zum Kummer Henrys, der sich in einem ständigen Kampf mit seinem Gewissen befand, sah man die beiden immer häufiger miteinander. Die Reaktionen auf diese Entwicklung waren gemischt. Einige beobachteten amüsiert, wie Brunos bis dahin unangreifbare Schutzwälle in sich zusammenfielen. Andere waren neidisch – die Männer, weil Bruno ganz offensichtlich und ohne jede Anstrengung das Herz eines Mädchens erobert hatte, das ebenso höflich wie bestimmt alle anderen Annäherungsversuche zurückwies; und die Frauen, weil Bruno – bei weitem der begehrteste Junggeselle des Circus – ebenfalls alle Annäherungsversuche höflich und bestimmt abwies. Aber die Mehrzahl freute sich für Bruno, obwohl er eigentlich außer Kan Dahn, Manuelo und Roebuck keine wirklichen Freunde beim Circus hatte. Die meisten aber betrachteten es einfach als ganz natürlich und unvermeidlich, daß der unbestrittene Star sich das Mädchen ausgesucht hatte, das von den vielen schönen Mädchen beim Circus unbestreitbar das schönste war.
Erst nach der letzten Vorstellung am letzten Abend in der Stadt lud Bruno Maria in sein Quartier an Bord des Zuges ein. Sie nahm die Einladung ohne jede Schüchternheit an. Er hatte sie untergehakt, damit sie auf dem holprigen Weg nicht stolperte, und half ihr am Ende eines Waggons die Stufen hinauf.
Bruno hatte ein ziemlich luxuriöses und völlig abgeschlossenes Abteil für sich, das aus einem Salon, einer Wohnküche, einem Badezimmer mit einer versenkbaren Badewanne und einem Schlafzimmer bestand. Maria ging wie in Trance hinter ihm her in den Wohnraum.
»Es heißt, daß ich einen nach amerikanischen Maßstäben ziemlich gemeinen Martini mixe«, sagte er. »Die einzige Gelegenheit, bei der ich etwas trinke, ist, wenn ich eine Saison in einer Stadt abgeschlossen habe, Alkohol und Trapez passen nicht zusammen. Möchten Sie auch einen?«
»Bitte ja. Ich muß sagen, Sie leben sehr stilvoll. Sie sollten eine Frau haben, mit der Sie all diesen Luxus teilen könnten.«
Bruno holte Eis. »Ist das ein Antrag?«
»Nein, das ist es nicht. Aber all das – nur für einen Mann …«
»Mr. Wrinfield ist sehr nett zu mir.«
»Ich glaube nicht, daß Mr. Wrinfield draufzahlt«, meinte sie trocken. »Hat sonst noch jemand vom Circus ein derartiges Quartier?«
»Ich bin bis jetzt noch nicht durch alle Abteile gegangen, um zu untersuchen …«
»Bruno!«
»Nein, ich glaube nicht.«
»Jedenfalls ganz sicher nicht ich. Ich habe einen Schlafplatz, der stark an eine umgekippte Telefonzelle erinnert, aber ich nehme auch an, daß ein enormer Standesunterschied zwischen Ihnen und einer Sekretärin besteht.«
»So ist es.«
»Männer sind ja so bescheiden!«
»Kommen Sie mal mit verbundenen Augen mit mir aufs Trapez. Dann werden wir ja sehen, ob Sie dann noch weiter lästern.«
Sie schauderte zusammen. »Ich kann nicht einmal auf einem Stuhl stehen, ohne schwindlig zu werden. Nein, nein, Sie haben sich dieses Paradies schon verdient. Ich nehme an, ich kann Sie jederzeit hier besuchen.«
Er reichte ihr ihren Drink. »Ich werde eine Fußmatte mit einem speziellen Willkommensgruß für Sie anfertigen lassen.«
»Ich danke Ihnen.« Sie hob ihr Glas. »Auf unser erstes Zusammensein ohne Zuschauer. Man erwartet von uns, daß wir uns ineinander verlieben. Haben Sie eine Ahnung, wie gut wir diesbezüglich nach der Meinung der anderen vorankommen?«
»Nein. Aber was mich betrifft, so finde ich, daß ich sehr gut vorankomme.«
Er sah, wie sie ihre Lippen aufeinanderpreßte, und fügte hastig hinzu: »Ich finde, wir kommen sehr gut voran. Ich glaube, im Augenblick ist das in etwa auch die allgemeine Meinung. Just in diesem Augenblick müssen mindestens hundert Leute wissen, daß Sie bei mir sind. Sollten Sie
Weitere Kostenlose Bücher