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Circus

Circus

Titel: Circus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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die vier auf den besten Plätzen: in der sechsten Reihe an der mittleren Manege. Alle vier waren in Zivil gekommen, und allen vieren sah man sofort an, daß sie normalerweise Militäruniformen trugen. Einer von ihnen packte unmittelbar nach dem Beginn der Vorstellung eine sehr teuer aussehende Kamera mit Teleobjektiv aus, deren Anblick innerhalb von Sekunden einen höhergestellten Polizeioffizier in Uniform auf der Bildfläche erscheinen ließ. Das Fotografieren war offiziell untersagt, und für Besucher aus dem Westen bedeutete der Besitz einer nicht verzollten Kamera, wenn sie entdeckt wurde, unweigerlich eine Verhaftung und Gerichtsverhandlung. Alle Kameras an Bord des Circuszuges waren bei der Einreise ins Land beschlagnahmt worden und würden erst bei der Ausreise wieder in die Hände ihrer Besitzer gelangen.
    »Ihre Kamera bitte«, sagte der Polizist. »Und Ihre Papiere.«
    »Wachtmeister!« Der Polizist drehte sich zu Sergius um und starrte ihn an – etwa eine Sekunde lang, dann hatte er den Klumpen heruntergeschluckt, der ihm ganz offensichtlich im Hals gesteckt hatte. Er trat zu Sergius und sagte leise: »Tut mir leid, Herr Oberst. Man hat mich nicht instruiert.«
    »Ihr Präsidium ist informiert worden. Finden Sie den Schwachkopf, der es versäumt hat, Sie zu unterrichten, und bestrafen Sie ihn.«
    »Ich bitte um Entschuldigung …«
    »Sie versperren mir die Aussicht.«
    Und das war im Augenblick wirklich besonders unverzeihlich. Zweifellos von dem Wissen beflügelt, vor einem Kennerpublikum aufzutreten, und zwar vor einem enthusiastischen Kennerpublikum, hatten die Künstler in den letzten Wochen ihre Nummern immer wieder verbessert und ausgebaut, bis sie einen nahezu unmöglichen Grad der Perfektion erreicht hatten. Selbst Sergius, der normalerweise soviel Begeisterungsfähigkeit hatte wie ein tiefgekühlter Computer, wurde von der Märchenwelt des Circus völlig gefangengenommen. Nur Nicolas, der junge Fotograf, war mit anderen Dingen beschäftigt: Er war voll damit ausgelastet, ein Bild nach dem anderen von den wichtigsten Künstlern des Circus zu schießen. Aber sogar er vergaß seinen Auftrag und seine Kamera und starrte fassungslos wie alle anderen nach oben, als die ›Blinden Adler‹ ihre selbstmörderische Nummer zeigten.
    Kurz nach ihrem Auftritt trat ein unscheinbarer Mann zu Sergius und murmelte: »Zwei Reihen weiter hinten, Herr Oberst, zehn Sitze weiter links.« Ein kurzes Nicken war Sergius' einziges Zeichen, daß er verstanden hatte. Gegen Ende der Vorstellung kam Kan Dahn, der mit jedem Tag besser zu werden schien, an die Reihe. Er verachtete Dinge wie Eisenstangen und Kugelhanteln – ein Fünfjähriger konnte einen Knoten in eine Eisenstange machen und eine vierhundert Pfund schwere Kugelhantel hochheben, vorausgesetzt, sie waren aus dem richtigen Material, das alles sein durfte außer Eisen. Er arbeitete immer mit Menschen – Wesen, die rannten, hüpften und Purzelbäume schlugen, konnten schlecht aus federleichtem Plastikmaterial gemacht sein.
    Am Ende seiner Nummer marschierte Kan Dahn rund um die mittlere Manege. Eine schwere Holzstange ruhte in einem Joch auf seinen Schultern, und auf beiden Seiten des Jochs saßen je fünf Circusmädchen. Wenn Kan Dahn ihr Gewicht spürte, so ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. Ab und zu blieb er stehen und kratzte sich mit dem rechten Fuß an der linken Wade. Sergius lehnte sich über Kodes hinweg zu Angelo hinüber, der das Schauspiel mit gespielt gleichgültiger Miene beobachtete. »Er ist wirklich stark, nicht wahr?«
    »Die Muskeln sind doch alle nur Schau. Ich habe mal in Athen einen alten Mann gesehen, der war mindestens fünfundsiebzig und wog bestimmt kein Gramm über einen Zentner, und der trug allein ein Klavier eine ganze Straße entlang.«
    Noch während Angelo sprach, begann Kan Dahn in der Mitte der mittleren Manege eine Leiter hinaufzuklettern. Die Plattform oben war etwa einen Quadratmeter groß. Kan Dahn erreichte sie ohne sichtbare Schwierigkeiten, trat auf eine in die Plattform eingelassene Drehscheibe und setzte sie durch ein Drehen seiner baumstammdicken Beine in Bewegung. Die Scheibe drehte sich immer schneller, und schließlich waren die Mädchen an den äußeren Enden der Holzstange nur noch als verwischte Farbpunkte zu sehen. Allmählich wurde die rasende Karussellfahrt wieder langsamer, und schließlich stand die Scheibe wieder. Kan Dahn stieg die Leiter hinunter, kniete sich hin und beugte sich so weit

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