Circus
vor, bis die Füße der Mädchen das Sägemehl berührten, das den Boden der Manege bedeckte. Sergius beugte sich wieder zu Angelo hinüber.
»Hätte dein alter Athener Freund das mit seinem Klavier auch gekonnt?«
Angelo antwortete nicht.
»Weißt du, daß es heißt, er könne das gleiche auch mit vierzehn Mädchen machen, aber die Geschäftsleitung erlaube es nicht, weil sie auf dem Standpunkt stehe, daß dann jeder glauben würde, es stecke ein Trick dahinter?«
Angelo schwieg weiter.
Die Vorstellung endete, und das Publikum belohnte die Circuskünstler mit wahrhaft ohrenbetäubendem Applaus und Getrampel. Als die Menschen sich schließlich losrissen und den Ausgängen zustrebten, suchte und entdeckte Sergius Wrinfield und richtete es so ein, daß er am Ausgang mit ihm zusammentraf. »Mr. Wrinfield?« fragte er.
»Ja? Es tut mir leid – sollte ich Sie kennen?«
»Wir haben uns noch nicht kennengelernt.« Sergius deutete auf das Foto, das auf dem Circusprogramm prangte, das er in der Hand hielt. »Sie sind ausgezeichnet getroffen«, lobte er. »Ich bin Oberst Sergius.« Sie schüttelten sich die Hände. »Überwältigend, Mr. Wrinfield! Einfach unglaublich! Wenn mir jemand gesagt hätte, daß es solch eine Show gibt, hätte ich ihn als Lügner bezeichnet.« Wrinfield strahlte. Beethovens Neunte ließ ihn völlig kalt – dies war die Musik, die sein Gemüt in Wallung brachte. »Ich habe schon immer sehr viel für den Circus übrig gehabt« – Sergius log noch besser als die meisten Menschen seines Schlages –, »aber so etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen.«
Wrinfields Strahlen wurde noch strahlender. »Sie sind zu liebenswürdig, Herr Oberst.«
Sergius schüttelte traurig den Kopf. »Ich wünschte, ich hätte die Gabe, mich meinen Empfindungen entsprechend auszudrücken. Aber meine Begeisterung über das Programm ist nicht der einzige Grund, aus dem ich mich Ihnen vorgestellt habe. Ihr nächster Gastspielort ist Crau, soviel ich weiß.« Er zog eine Visitenkarte aus der Tasche: »Ich bin der Polizeichef von Crau.« Sergius hatte immer eine beträchtliche Auswahl von Karten bei sich. »Wenn ich etwas für sie tun kann – ich bin stets zu Ihren Diensten. Sie brauchen nur etwas zu sagen, und ich werde es als Privileg betrachten, Ihnen Ihre Wünsche zu erfüllen. Ich werde immer in Ihrer Nähe sein. Ich habe die Absicht, jede Vorstellung zu besuchen, denn ich bin überzeugt, daß ich nichts ähnlich Gutes mehr zu sehen bekommen werde. Für die Dauer Ihres Aufenthaltes können die Ganoven in Crau ungestört ihr Unwesen treiben – ich konzentriere mich ganz auf den Circus.«
»Sie sind wirklich zu liebenswürdig. Oberst Sergius, Sie sollen mein persönlicher – und hoffentlich ständiger – Gast im Circus sein. Ich würde mich sehr geehrt fühlen …« Er brach ab und schaute die drei Männer an, die keine Anstalten machten, weiterzugehen. »Gehören diese Herren zu Ihnen, Herr Oberst?«
»Wie gedankenlos von mir. Meine Begeisterung hat mich alles andere vergessen lassen.« Sergius stellte seine Begleiter vor, während Wrinfield seinerseits Dr. Harper vorstellte, der neben ihm gesessen hatte.
Wrinfield fuhr fort: »Wie ich gerade sagen wollte, würde ich mich sehr geehrt fühlen, wenn Sie und Ihre Begleiter in meinem Büro ein Glas Ihres Nationalgetränks mit uns nehmen würden.« Sergius erwiderte, die Ehre sei ganz auf seiner Seite.
Im Büro wurden aus dem einen Glas erst zwei und dann drei. Nachdem Nicolas die Erlaubnis dazu bekommen hatte, knipste er unaufhörlich, wobei er mindestens ein Dutzend Aufnahmen von der lächelnd protestierenden Maria schoß, die hinter ihrem Schreibtisch gesessen hatte, als sie hereingekommen waren.
»Möchten Sie vielleicht ein paar unserer Künstler kennenlernen, Herr Oberst?« fragte Wrinfield.
»Sie sind ein Gedankenleser, Mr. Wrinfield! Ich muß gestehen, daß das mein großer Wunsch war, aber ich wagte nicht … ich meine, ich habe Ihre Gastfreundschaft schon über Gebühr beansprucht …«
»Maria.« Wrinfield ratterte eine Reihe von Namen herunter. »Gehen Sie zu den Umkleideräumen und fragen Sie sie, ob sie so freundlich wären, herzukommen, um einen illustren Gast kennenzulernen.« In den letzten Wochen hatte sich Wrinfield eine mitteleuropäisch-blumige Ausdrucksweise angewöhnt.
Und so kamen sie also, um den illustren Gast zu sehen – Bruno und seine Brüder, Neubauer, Kan Dahn, Ron Roebuck, Manuelo, Malthius und noch
Weitere Kostenlose Bücher