Circus
Kan Dahn gab zuerst Roebuck und dann Manuelo einen kräftigen Rippenstoß – und dann beobachteten alle drei die Szene mit großem Interesse.
»Du Scheusal! Du hinterlistiger, verabscheuungswürdiger Kerl! Und du hattest tatsächlich die Stirn, mich zu fragen, ob ich jemals als Schauspielerin gearbeitet hätte! Ich habe es nie getan, aber selbst wenn, hätte ich dir in diesem Metier nicht einmal annähernd das Wasser reichen können! Warum hast du das getan? Das habe ich nicht verdient.«
Roebuck flüsterte: »Sie wird jede Sekunde wütender!«
»Wie wenig du doch von der menschlichen Natur verstehst«, sagte Kan Dahn mitleidig. »In spätestens einer halbe Minute ist ein Heiratsantrag fällig!«
»Es tut mir leid«, sagte Bruno. »Aber ich mußte es tun.«
»Du mußtest wohl herausfinden, ob ich dir vertraue?«
»Ja, es ist schrecklich wichtig für mich. Bitte verzeih mir.« Er nahm wieder ihre Hand und betrachtete den schmucklosen Ringfinger mit großer Aufmerksamkeit. »Er sieht ziemlich kahl aus, finde ich.«
»Wer?«
»Du weißt doch, daß man von uns erwartet, so zu tun, als seien wir ineinander verliebt?«
»Ja.« Maria schwieg eine Weile und fragte dann mit unsicherer Stimme zögernd: »Glaubst du, wir sollten aufhören, so zu tun?«
»Ich glaube es nicht, ich weiß es. Liebst du mich, Maria?«
Die kaum hörbare Antwort kam ohne Zögern: »Ja.«
Sie schaute auf ihre linke Hand hinunter und lächelte: »Er sieht wirklich ziemlich kahl aus.«
Kan Dahn lehnte sich genüßlich zurück und fragte triumphierend: »Na, was hat Onkel Dahn euch gesagt? Spendiert mir jetzt wenigstens jemand ein Bier?«
»Bist du sicher?« fragte Bruno.
»Selbst der intelligenteste Mann kann also zuweilen die dümmsten Fragen stellen. Merkst du mir das denn nicht an?«
»Ich glaube schon. Ich hoffe, daß es so ist.«
»Ich liebe dich schon seit Wochen.« Sie war jetzt ganz ernst geworden. »Am Anfang schaute ich zu, wenn du mit verbundenen Augen durch die Luft flogst. Aber dann kam ein Punkt, da konnte ich es nicht mehr mit ansehen und mußte den Zuschauerraum verlassen. Und dann war mir jedesmal ganz schlecht. Und inzwischen gehe ich gar nicht mehr hinein, aber schlecht ist mir trotzdem. Ein Sekundenbruchteil zu früh oder zu spät …« Sie brach ab. In ihren Augen glänzten Tränen. »Aber auch wenn ich draußen bleibe, höre ich doch die Musik, die zu eurer Nummer gehört, und wenn sie einsetzt, dann sterbe ich jedesmal innerlich.«
»Willst du meine Frau werden?«
»Natürlich will ich, du Vollidiot.« Die Tränen liefen ihr jetzt über die Wangen.
»Es besteht kein Anlaß, mit solchen Ausdrücken um sich zu werfen. Ich möchte dich übrigens darauf hinweisen, daß Kan Dahn, Manuelo und Ron die Entwicklung an unserem Tisch mit dem allergrößten Interesse verfolgen. Ich habe das Gefühl, sie schließen untereinander Wetten über uns ab. Und ich habe auch das Gefühl, daß ich es nicht leicht haben werde, wenn sie mich allein erwischen.«
»Ich kann sie nicht sehen.« Bruno gab ihr sein Taschentuch, und sie wischte sich die Tränen aus den Augen: »Ja, sie sehen wirklich ein bißchen so aus.«
Sie zerknüllte das Taschentuch in ihren Händen und konzentrierte sich wieder ganz auf ihr Gegenüber: »Ich liebe dich, und ich will dich heiraten – ist das nicht altmodisch? Ich würde dich schon morgen heiraten – aber ich kann keinen Mann lieben und heiraten, der der größte Luftakrobat der Welt ist. Ich weiß, daß ich das nicht aushalten würde. Und ich glaube, du weißt es auch. Möchtest du, daß ich mein ganzes Leben lang krank vor Angst um dich bin?«
»Das wäre für keinen von uns beiden besonders angenehm. Nun, man lernt doch wirklich nie aus – ich hatte immer gedacht, daß Erpressung etwas sei, das erst nach der Heirat einsetzt.«
»Du lebst in einer merkwürdigen Welt, wenn du glaubst, daß Ehrlichkeit und Erpressung ein und dasselbe sind.«
Bruno dachte darüber nach. Schließlich sagte er: »Aber du könntest doch jederzeit den größten Ex -Luftakrobaten heiraten.«
»Ex?«
»Das ist kein Problem.« Bruno machte eine wegwerfende Geste mit der rechten Hand. »Ich werde mein Trapez an den Nagel hängen, oder wie in diesem Fall die richtige Floskel auch heißen mag.«
Sie starrte ihn an. »Einfach … einfach so? Aber die Artistik ist doch dein ganzer Lebensinhalt.«
»Ich habe auch noch ein paar andere Interessen.«
»Nämlich welche?«
»Wenn du erst Mrs. Wildermann bist, werde ich
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