Circus
auf. Sie waren voll angezogen, drei von ihnen lagen auf an der Wand befestigten Feldbetten, und der vierte saß an einem Tisch, das Gesicht einer offenen Tür zugewandt, und legte Patience. Vom Boden des Raumes führte eine senkrechte Eisenleiter zu der Falltür hinauf.
Vorsichtig versuchte Bruno, die Luke zu öffnen, aber sie war verschlossen – wahrscheinlich von innen verriegelt. Die ›Lubylan‹ war vielleicht nicht ganz so sicher bewacht wie Fort Knox, wie Harper gesagt hatte, aber man hatte offensichtlich auch die merkwürdigsten Eventualitäten bedacht. Bruno entfernte sich von der Luke und schaute über ein niedriges Sims auf den Hof hinunter: Es war keiner der Wachhunde zu sehen, die Harper erwähnt hatte. Sie konnten sich natürlich vor der Kälte in einen der vielen Bogengänge, die Bruno sah, geflüchtet haben, aber das schien nicht sehr wahrscheinlich, denn Dobermänner haben einen ausgeprägten Bewegungstrieb. Auch innerhalb des verglasten Ganges, der in Höhe des neunten Stockwerkes die beiden Gebäude miteinander verband, war niemand zu entdecken. Als Bruno zum Nordwestturm zurückkam, war Kan Dahn bereits da: Der Siebenundzwanzig-Meter-Aufstieg hatte nicht einmal seine Atmung beschleunigt. »Wie hast du den Spaziergang über das Kabel überstanden?«
»Ein guter Künstler hört auf, wenn er auf dem Höhepunkt seiner Karriere angekommen ist. Und diesen habe ich hiermit erreicht.«
»Und kein Mensch hat dich gesehen. Es ist schon wirklich schade! Wenn man bedenkt, daß wir heute abend mit Zuschauern leicht zwanzigtausend Dollar hätten kassieren können, könnten einem glatt die Tränen kommen.« Er schien in keiner Weise von Brunos Entscheidung überrascht. »Was ist mit den Wachtposten in den Türmen?«
»Die schlafen.«
»Alle?« Bruno nickte. »Also haben wir genug Zeit?«
»Nicht genug Zeit, um zu bummeln. Ich weiß nicht, wann die Ablösung kommt.«
»Sieben Uhr abends scheint mir eine ziemlich unwahrscheinliche Zeit dafür.«
»Sicher. Aber wo wir jetzt schon so weit sind, wäre es idiotisch, auch nur das winzigste Risiko einzugehen.« Bruno drehte sich um, als zuerst Roebuck und gleich darauf Manuelo auf der Mauer erschienen. Im Gegensatz zu Kan Dahn atmeten sie einigermaßen mühsam.
Roebuck, der die beiden Segeltuchsäcke immer noch über der Schulter trug, sagte: »Gott sei Dank müssen wir das Seil nachher nicht noch einmal rauf, sondern dürfen uns runterlassen.«
»Irrtum. Wir verschwinden nicht auf diesem Weg.«
»Nicht?« Roebuck wurde unter seiner Sonnenbräune blaß. »Du meinst, es gibt einen anderen Weg? Ich glaube nicht, daß mich das mit viel Zuversicht erfüllt.«
»Ein reiner Sonntagsspaziergang«, beruhigte Bruno ihn. »Aber jetzt zu unserem akuten Problem: Es gibt nur einen Weg hinein, der ist versperrt.«
»Eine Tür?« fragte Kan Dahn.
»Eine Falltür.«
Kan Dahn hob drohend sein Brecheisen. »Damit ist keine Falltür ein Problem.«
»In dem Raum darunter sitzen Wachtposten. Und mindestens einer von denen ist hellwach.«
Er ging den anderen voran bis etwa in die Mitte der Westmauer, ließ sich auf die Knie nieder, hielt sich an einer Stahlspitze fest und schaute auf die Hauptstraße hinunter. Die anderen taten das gleiche.
»Ich will durch das erste Fenster einsteigen – das erste von hier aus gesehen.«
»Besagtes Fenster ist mit dicken Eisenstangen gesichert«, gab Roebuck zu bedenken.
»Aber nicht mehr lange.« Bruno richtete sich auf und zog ein Plastikpäckchen aus der Tasche. Er wickelte es auf und brachte zwei in Polyäthylen gewickelte Päckchen zum Vorschein. »Diesem Zeug hier kann keine Eisenstange widerstehen – es verwandelt sie in etwas, das weicher Knetmasse sehr ähnlich ist.«
»Was für ein Zauberzeug ist das?« fragte Roebuck.
»Jeder berufsmäßige Magier, der etwas auf sich hält, kennt es. Man kann praktisch jedes Metall erweichen und biegen, wenn man es damit einschmiert – seltsamerweise greift es jedoch nicht die menschliche Haut an. Diese Plastikbehälter enthalten eine Säure, die sich in die Zwischenräume zwischen den einzelnen Molekülen hineinfrißt und das Metall auf diese Weise aufweicht. Es gibt einen israelischen Zauberer, der behauptet, wenn man ihm Zeit und genug von diesem Zeug gäbe, könne er einen Sherman-Panzer völlig verformen.«
»Wie lange dauert es, bis es wirkt?«
»Fünf Minuten sollten reichen. Ich bin nicht ganz sicher.«
»Was ist mit der Alarmanlage?« fragte Manuelo.
»Um die kümmere
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