City Crime – Vermisst in Florenz
dass ausgerechnet in seinem Laden dieser Zugang existierte, der vielleicht ebenso alt war wie der Vasari-Gang selbst.
Noch einmal suchte Joanna alles ab. Aus dem Vorderraum drang bereits das zuckende Blaulicht eines Carabinieri-Wagens in die Kammer. Die Flüche des Juweliers wurden heftiger, Joannas Zeit knapper. Hastig ging sie alles noch mal durch: Schreibtisch, Spüle, Tisch, Kleiderschrank … Kleiderschrank? Groß genug, um als Tür zu dienen und … Joanna sah noch genauer hin. Stand die Schranktür nicht sogar einen Spalt offen? Sie ging auf den Schrank zu, öffnete die Tür so weit, dass sie hineinblicken konnte. Ein einziger, dünner Regenmantel hing darin, ganz gegen die rechte Innenseite des Schranks gedrückt. Dahinter konnte sie zwar die Rückwand des Kleiderschranks sehen, aber …
Vorsichtig betrat sie den Schrank und drückte gegen die Rückwand. Tatsächlich ließ sie sich öffnen wie eine Tür. Joanna stieß sie noch weiter auf und schaute auf eine schwach beleuchtete, sehr schmale Treppe. Das war er, der geheime Zugang zum Vasari-Korridor! Joanna schlüpfte durch den Schrank hindurch und stieg die Treppe hinauf, die entsetzlich knarrte. Dumpf drangen die Stimmen aus dem Juwelierladen zu ihr hoch. Die Polizei war da und würde den Juwelier eine Zeit lang beschäftigen. Erst jetzt kam Joanna der Gedanke, dass es Andrea gewesen sein könnte, der für den Alarm gesorgt hatte. Gar nicht mal so dumm, dachte sie vergnügt bei sich. Überhaupt gefiel ihr dieser Andrea immer mehr.
Entführt
Am Ende der Treppe stieß Joanna erneut auf eine Tür, welche die Männer vor ihr unvorsichtigerweise offen gelassen hatten. Vielleicht gingen sie davon aus, dass der Juwelier gleich nachkommen würde. Von dem Besuch der Polizei dürften sie nichts mitbekommen haben. Joanna musste aufpassen, den Männern jetzt nicht direkt in die Arme zu laufen. Vielleicht standen sie noch hier irgendwo und warteten auf den Juwelier? Bevor sie den Vasari-Korridor betrat, horchte sie erst einmal.
Alles war still.
Sie wagte es, den Kopf durch die Tür zu stecken und in den düsteren Gang zu schauen. Nur die Nachtbeleuchtung der Brücke drang spärlich durch die Fenster in den Gang hinein. Draußen verlieh sie der Brücke einen romantischen Glanz. Hier oben aber verwandelte sie den Korridor in einen unheimlichen, finsteren Ort und ließ die Galerie der Selbstporträts berühmter Künstler wie eine geisterhafte Ausstellung erscheinen.
Es war gruselig, allein im schummrigen Licht durch eine verlassene Bildergalerie zu schleichen. Joanna hatte das Gefühl, die Augen der Porträtierten folgten ihr, als wären es Geister. Natürlich wusste sie, dass die einzige wirkliche Gefahr die zwei Männer darstellten. Aber das minderte die Angst keinen Deut.
Wenigstens hatte sie ihre Taschenlampe wieder bei sich. Nachdem die Männer den Inhalt ihrer Tasche achtlos auf die Straße gekippt hatten, hatte sie alles wieder einsammeln und mitnehmen können. Aber sie wagte noch nicht, ihre Lampe anzuknipsen. Womöglich verriet sie damit den Männern ihre Anwesenheit.
›Ich hätte nicht allein gehen sollen‹, dachte Joanna. Das war ein Fehler gewesen, den sie nun nicht mehr korrigieren konnte. Also Augen auf und durch!
Sie warf nur einen kurzen Blick auf die Galerie der Selbstporträts – immerhin eine der berühmtesten Gemäldeausstellungen der Welt. Dann konzentrierte sie sich wieder ganz auf ihre Aufgabe, horchte nach hinten, ob ihr der Juwelier bereits folgte, und nach vorn, ob sie etwas von den Männern hörte. Beides war nicht der Fall. Sie schlich zu einem der großen Fenster, durch die man auf den Ponte Vecchio sehen konnte. Der Polizeiwagen stand noch dort. Ein gutes Zeichen. So wurde der Juwelier weiterhin aufgehalten. Und sie sah auch Finn, Andrea und Francesco den Weg entlang huschen, wobei die drei immer wieder zu den Fenstern hinaufblickten und nach ihr, Joanna, Ausschau hielten.
Joanna winkte zu ihnen hinunter, aber sie wurde nicht gesehen. Die Jungs waren zu weit vorausgegangen und vermuteten wohl, dass sie schon weiter im Gang vorangekommen wäre. An die Scheibe zu klopfen oder gar zu rufen, verbot sie sich. Stattdessen ging sie weiter, wobei sie auf Zehenspitzen tippelte, damit ihre Schritte möglichst nicht zu hören waren. Als es ihr nach wenigen Metern zu anstrengend wurde, wie eine Ballerina über den Boden zu tänzeln, zog sie einfach ihre Schuhe aus und lief barfuß weiter. Der gesamte Vasari-Korridor war nur einen Kilometer
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