City Crime – Vermisst in Florenz
zur Eingangstür des Juweliers und versuchten, durch die Scheibe einen Blick nach innen zu werfen. Aber in dem Laden war nach wie vor alles dunkel. Nur um die beiden Männer einzulassen, war das Licht kurz angeschaltet worden. Insofern konnte es sehr gut sein, dass der Juwelier immer noch im Dunkeln in seinem Geschäft saß.
»Kannst du sehen etwas?«, fragte Andrea.
Joanna drückte ihr Gesicht an die Scheibe. Mit den Händen an den Schläfen versuchte sie, sich vor Lichtreflexen von außen zu schützen und zu erkennen, ob sich dort drinnen irgendetwas bewegte.
»Wir wissen doch, dass der Gang zum Palazzo Pitti führt«, flüsterte Finn. »Können wir nicht gleich direkt dorthin gehen?«
»Der auch schon hat geschlosse«, antwortete Andrea. »Dann lieber ich mache Einbruch in diese kleine Bude als in den großen Palazzo. Außerdem wir wissen nicht, wo die Männer rauskommen in il Palazzo. Die Ding ist groß, gigantesco. Dort wir finden die Männer nie, wenn wir nicht direkt folgen ihnen.«
»Haltet euch mal im Hintergrund«, wies Joanna die Jungs plötzlich an und klopfte gegen die Scheibe.
»Hey!«, Andrea stieß sie in die Seite. »Was du machst? Wenn dir hört jemand?«
»Dann lässt er mich hoffentlich hinein«, antwortete ihm Joanna unverblümt. »Ich sag einfach, mein Vater schickt mich. Stimmt ja auch. Der Juwelier weiß doch nicht, dass ich weiß, dass er ein Verräter ist. Wahrscheinlich hofft er, bei mir das Notizbuch zu finden, und lässt mich freundlich rein!«
»Und er hat recht!«, stellte Andrea entgeistert fest. »Du ja auch hast das Buch.«
»Falsch!«, widersprach Joanna. »Das Notizbuch hat – Francesco!« Sie reichte es ihm wieder.
Verblüfft nahm Francesco es entgegen und steckte es ein. Auch Finn staunte über das Vertrauen, das sie Francesco entgegenbrachte.
»Ich gehe rein«, erläuterte Joanna ihren Plan. »Andrea bleibt draußen und lenkt den Juwelier ab, damit ich drinnen den Zugang zum Vasari-Korridor finden und abhauen kann. Francesco und Finn, ihr geht außen am Gang entlang Richtung Palazzo Pitti und wartet auf ein Zeichen von mir. Im Zweifel melde ich mich per Handy. Okay?«
»Aber …«, wollte Andrea erwidern.
»Ich weiß nicht«, zweifelte Finn.
Doch Joanna unterbrach beide. »Los jetzt. Da drinnen tut sich was!«
Eine Lampe wurde irgendwo angeschaltet. Die Jungs duckten sich blitzartig weg und huschten auseinander, von der Tür weg. Einen Augenblick später öffnete sie sich. Vor Joanna stand ein großer, hagerer Mann, der im ersten Moment wie der exakte Gegenentwurf zu Giovanni auf sie wirkte. Giovanni war klein, füllig, mit halber Glatze und freundlichem Gesicht. Ein gemütlicher, netter Mann, Typ Familienvater. Dieser hier wirkte zusätzlich zu seiner laternenartigen Erscheinung fahrig, nervös und grimmig. Vom Alter her hätte er Giovannis Sohn sein können.
Joanna nahm all ihren Mut zusammen, grüßte freundlich, machte sogar einen Knicks – wie Mädchen das in alten angestaubten Filmen immer machten – und erklärte, dass ihr Vater ihr gesagt hätte, sie solle hierherkommen, wenn sie ihn vermisste.
Der Mann, der sich nicht mit Namen vorstellte, blieb einen Moment bewegungslos wie eine Wachsfigur in der Tür stehen und schien zu überlegen, was er von Joannas Besuch so kurz nach dem Auftauchen der Männer halten sollte. Dann schließlich bat er sie herein. Die Tür schloss er hinter ihr sofort wieder.
Finn, der das aus der Deckung heraus beobachtet hatte, musste ein paarmal schlucken. Seine Schwester befand sich in der Höhle des Löwen. Allein!
Doch dann besann er sich darauf, ihren Plan umzusetzen. Jetzt durften sie nicht versagen und damit seine Schwester gefährden. »Los, Leute!«, sagte er. »Ihr habt gehört, was Joanna gesagt hat. Auf geht’s!«
»Come?«, fragte Francesco.
Finn konnte es ihm nicht übersetzen. »Avanti!«, sagte er deshalb einfach bloß.
Francesco verstand und schlich los.
›Na also, geht doch!‹, dachte Finn zufrieden. Manchmal verstand man sich auch mit wenigen Worten oder ganz ohne. Er folgte Francesco den Weg entlang, wobei sie die Fenster des Vasari-Korridors oben in der ersten Etage nicht aus den Augen ließen. Jeden Moment konnte sich Joanna von dort aus bemerkbar machen.
Andrea ging zurück zum Eingang des Juwelierladens und überlegte, wie er den Inhaber wohl am besten würde ablenken können. Was hatte Finn gesagt? Bei einem Einbruch würde die Alarmanlage losgehen und sie hätten die Polizei am Hals. Genau.
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